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  Viel Lärm um die „Taufe Frankreichs“

Vor 1500 Jahren ließ sich der fränkische König Chlodwig taufen. Frankreich streitet heute, ob dies als Schlüsselereignis der europäischen Geschichte oder als aufgeblasener Anlass zu katholischen Prunkfeiern zu werten sei.

Die alten Götter hatten versagt. Die Schlacht schien verloren. Der König spürte seine letzte Stunde nahen und beschwor in der Todesangst den von seiner Gattin verehrten Christengott. Um das nacktes Überleben flehend versprach er ihm, sich und seine Getreuen taufen zu lassen.

Dies zumindest berichtet die Legende von Chlodwig I., dem König der am Niederrhein ansässigen salischen Franken. Die Schlacht fand um 496 bei Tolbiac, dem heutigen Zülpich, 30 km südwestlich von Köln, statt. Der Angerufene ging scheinbar auf den Handel ein, denn Chlodwig besiegte schließlich die überlegenen Alamannen und ließ sich und sein Gefolge von 3000 Mann am 1. Weihnachtstag des gleichen Jahres in der ostfranzösischen Stadt Reims taufen.

Der 1500. Jahrestag dieser legendären Taufe bewegt zur Zeit die geschichtsversessenen Gemüter Frankreichs. Die Publikationen über «Clovis» häufen sich, neben einigen Comic-strips sind in diesem Jahr bereits vierzehn starke Werke erschienen. Kongresse tagen, Gelehrte enthüllen, Pilger pilgern, die Studenten des Instituts für angewandte Wissenschaften in der Stadt Rennes ließen eine Rakete namens «KLOVIS» starten, nach dem alten Frankenkönig benannter Senf ist auch schon auf dem Markt. Katholiken und Atheisten streiten über das Jubiläum und besonders über den geplanten Besuch des Papstes; der Heilige Vater nämlich und höchstwahrscheinlich auch viele seiner Gegner werden sich im September zu den offiziellen Chlodwig-Feiern in die Taufstadt Reims begeben.

Eine günstige Taufe

Bei dem päpstlich gefeierten Bekenntnis des Frankenkönigs waren neben der religiösen Erleuchtung aber vermutlich auch kühle machtpolitische Überlegungen im Spiel. Besagte Schlacht war nur eine von mehreren, die alle auf das gleiche Ziel hinausliefen: den Aufstieg der Franken und ihrer Königsfamilie, der Merowinger, im Gebiet des zerfallenden weströmischen Reiches. Die Taufe sollte sich dabei als günstig erweisen.

Nach dem Abgang des letzten römischen Kaiser im Jahre 476 machte Chlodwig auch in der Provinz Gallien reinen Tisch. Er schlug den letzten Statthalter Roms, Syagrius, 486 bei der Stadt Soissons. Paris wurde von Chlodwig zum Zentrum des nun vom Rhein bis zur Loire vergrößerten Frankenreiches gewählt. Es erfolgte eine nahtlose Machtübernahme in Nordgallien: die römische Oberschicht wurde durch die Franken abgelöst. Sie waren bis dahin Verbündete und Söldner der Römer und konnten dank ihrer Erfahrungen im Kämpfen und Lenken schließlich ihre dekadenten Lehrmeister absetzen und deren Provinz übernehmen.

In den darauf folgenden Auseinandersetzungen mit den weitaus mächtigeren und ebenfalls um das römische Tafelsilber buhlenden Goten offenbart sich die militärische Bedeutung von Chlodwigs Taufe. Das prätentiöse Bekenntnis des bis dahin eher geringen Königs und seine Siege über Römer und Alamannen waren Provokation und Warnung für den Westgotenkönig Allarich II. und den Ostgoten Theoderich den Großen (493-526). Letzterer konnte vierzehn Generationen Königswürde vorweisen, Chlodwig war gerade der dritte der merowingischen Sippe. Mit der Massentaufe in Reims verletzte Chlodwig besonders das religiöse Feingefühl seiner Kontrahenten. Die Goten waren Anhänger des sogenannten arianischen Christentums. Jesus wurde von ihnen zwar als Mensch mit herausragenden Eigenschaften aber eben nur als Mensch betrachtet, er war in ihren Augen nicht Sohn Gottes sondern von Gott begnadeter Menschensohn. Dies stand im unversöhnlichen Widerspruch zum Christusbild der Päpste und der christlichen Kaiser im untergehenden Rom. Letztere hatten aufgrund ihrer in der Mythologie verankerten Geschichte keine Schwierigkeiten, Jesus als leiblichen Sohn Gottes anzuerkennen – Stadtgründer Romulus selbst war Sohn des Kriegsgottes Mars. Unter Kaiser Konstantin wurde auf dem Konzil von Nizäa (325) die „Konsubstantialität“ von Vater und Sohn zum Dogma erhoben, der arianische Glaube der Goten fortan von der katholischen Kirche als Ketzerei betrachtet. Die Taufe Chlodwigs war Ausdruck des antiarianischen Dogmas, sie erfolgte im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Der katholische Glaube an den Gottessohn Jesus hatte sich auch in der römischen Provinz Gallien verbreitet. Der getaufte Chlodwig fand deshalb viel Zulauf bei der gallo-romanischen Bevölkerung, die im Süden der Herrschaft der andersgläubigen Westgoten unterworfen war. Er hatte somit leichtes Spiel in der unausweichlichen Auseinandersetzung mit Allarich. Auch auf die Hilfe der Bischöfe In Gallien konnte er sich nach seiner Taufe verlassen. Unter solch günstigen Voraussetzungen besiegte er im Jahre 507 Allarich II. und eroberte das südwestfranzösische Aquitanien. Der mächtige Allarich fand dabei den Tod und die Westgoten wurden auf die iberische Halbinsel abgedrängt. Den Sieg widmete Chlodwig dem heiligen Martin von Tours (316-397), ein untypischer römischer Legionär, der seinen Mantel mit einem frierenden Bettler teilte und eine der am leidenschaftlichsten verehrten Persönlichkeiten in Gallien. Das Ansehen und die Macht des listigen Frankenkönigs stiegen dadurch nur noch mehr. Sein Reich vergrößerte sich dank des klugen Glaubensbekenntnisses bis an die Pyrenäen und später bis ans Mittelmeer. Nach dem Tod Chlodwigs im Jahre 511 eroberten seine Söhne Teile des Thüringerreiches und im Jahre 534 Burgund. Eine neues Königreich war in Europa entstanden; zwei Volksgruppen unterschiedlicher ethnologischer Herkunft, die keltischen Gallier und die germanischen Franken, hatten sich unter Chlodwig zu einer Nation vereinigt. Im 8. Jahrhundert schließlich müssen die Merowinger die Königswürde an ihre mächtig gewordenen Hausmeier, die Karolinger, abgeben: 751 wird Pippin der Jüngere, der Vater Karls des Großen, fränkischer König. „Clovis“ bleibt, abgewandelt in „Louis“, bis ins 19. Jahrhundert ein französischer Königsname.

Die heute als „Taufe Frankreichs“ gefeierte Ereignis war aber weder der Beginn noch der Abschluß der Christianisierung Galliens. Schon Martin von Tours hatte eifrig missioniert. Die religiöse Ausstrahlung der heiligen Genoveva (422-502), der Schutzheiligen von Paris, war bedeutender als die Chlodwigs. Es gab schon zahlreiche Bischöfe in Gallien; mit deren Unterstützung konnte Chlodwig bereits bei seinen Eroberungen rechnen. Die ländlichen Regionen Frankreichs wurden andererseits erst im 10. und 11. Jahrhundert christianisiert. Begründet hat Chlodwig jedoch ein wichtiges Prinzip des Mittelalters: die Verbindung von katholischer Kirche und königlicher Macht in Europa. Die Bedeutung der Kirche als staatstragende Macht zeichnete sich dank Chlodwig schon im 5. Jahrhundert ab. Erst die Revolution 1789 setzte dem in Frankreich ein Ende.

Für Chlodwig und gegen den Papst

Die offiziellen Feiern im September und der Papstbesuch können zwar nicht mit dem traditionellen revolutionären Pomp des 14. Juli mithalten, trotzdem sehen einige empfindliche Atheisten die Grundfesten der laizistischen Republik bedroht. Die Ehrfurcht vor der hohen runden Zahl des nahenden Jubiläums läßt nach den anfänglichen Bagarren versöhnende Töne aufkommen. So schreibt der Sorbonne-Professor François-Georges Dreyfus, daß sich auch die französische Republik ohne Berührungsängste Chlodwig zuwenden dürfe. Seine Taufe sei ein Gründungselement der französischen Nation gewesen und außerdem zähle der christliche Glaube ohnehin zu den republikanischen Grundwerten. So sei es nur natürlich, daß das Ereignis würdig gefeiert werde. Auf diese Erlaubnis hat der katholische Präsident Chirac allerdings nicht gewartet, er empfängt den Papst im September und hat schon im April eine Kommission einberufen, die darüber nachdenken soll, wie Frankreich am besten seine Ursprünge und besonders den „grand unificateur“, den großen Einiger, feiern könnte. In Zeiten höchster Arbeitslosigkeit und wilder Reformen in allen Bereichen der Gesellschaft dient Chlodwigs Jubiläum der Regierung zur staatsklugen Beschwörung der Dauerhaftigkeit der Nation. Zur Würdigungen Chlodwigs wurde schon eine 100-Francs-Münze geprägt, auf welche der im Taufbecken stehende Monarch und die republikanische Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ bedenkenlos nebeneinander gehauen sind. Die bisweilen europaeuphorische Tageszeitung Le Monde mahnt, daß auf dem Weg ins „europäische Nirwana“ nationale Symbole unbedingt zu pflegen seien. Chlodwig sei nicht nur der erste getaufte Frankenkönig sondern auch der Gründer der französischen Nation – so auch hier die Kompromißformel. Mangels zugkräftigen zeitgenössischen Personals möchte auch der rechtsradikale Jean-Marie Le Pen mit dem alten Täufling, der eigentlich ein Immigrant in Gallien war, seiner Front National etwas historischen Glanz geben und Chlodwig als einen der Seinen präsentieren. Das gleiche versucht er schon mit der Nationalheiligen Jeanne d’Arc, zu deren Ehrentag er gerne den 1. Mai ummünzen möchte.

Der Papst muß jedoch trotz der allgemeinen Chlodwig-Verehrung im zu 80% katholischen Frankreich mit Protesten rechnen. Allmonatlich wird am 22. (an diesem Tag kommt er im September in die Champagnerstadt Reims) um18 Uhr vor der dortigen Kathedrale ein Spruchband mit der Aufschrift „Avortons la venue du Pape - Treiben wir den Papstbesuch ab“ entrollt. Im Internet kämpft das «Réseau Voltaire» gegen Aids und den Besuch des Heiligen Vaters, für Kondome und Laizität. Freimaurer und -denker schließen sich den Protesten an und sehen eine der wichtigsten Errungenschaften der Französischen Revolution, die Trennung von Staat und Kirche, durch den Papstbesuch unterlaufen. Betroffene Stadtverwaltungen haben in diesem Umfeld Mühe, Gelder für den Papstempfang lockerzumachen. Loyale Katholiken zögern andererseits nicht, eine der in Frankreich schlimmsten Beschimpfungen aus dem Arsenal zu holen: ein Fest werde kleinkariert verdorben, die Papstgegner seien nörgelnde Spielverderber und wüßten nicht zu feiern.

 

Die Aufregungen über die diesjährigen Feiern beruhen zu allem Überfluß auf einem Irrtum: nicht nur, daß im September anstatt zu Weihnachten jubiliert wird, die Taufe Clodwig fand auch vermutlich erst 498 oder noch später statt. Die Überlieferungen von Chlodwigs Taten und seinem legendären Schwur zu Tolbiac stammen im wesentlichen vom 594 verstorbenen Geschichtsschreiber Gregor von Tours. Der „französische Herodot“ aber faßte die Geschehnisse in Fünfjahreszeiträume zusammen, erst ab den achten Jahrhundert numerierten die Franken die Jahre einzeln ab Christi Geburt. Es bleibt deshalb voraussichtlich unmöglich, das genaue Taufjahr zu bestimmen. 496 wird von Historikern aber nahezu ausgeschlossen. Mit Sicherheit handelt es sich aber um das hundertjährige Jubiläum der 1400-Jahrfeier der Taufe. 1896 existierten die Zweifel am Datum noch nicht, und es wurde bedenkenlos gefetet.

 

   
       
       
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