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DIPLOMARBEIT
M A R T I N - L U T H E R - U N I V E R S I T Ä T
H A L L E - W I T T E N B E R G
eingereicht von Bernd GERLACH
1.Gutachter: Prof. Dr. Wollkopf
2.Gutachter: Doz. Dr. Hüwe
Teil 2
In dieser Arbeit werden Entwicklung und Ausprägung des französischen
Agrotourismus dargestellt und anhand von Beispielen aus dem Departement
Calvados in der nordfranzösischen Region Basse-Normandie erläutert.
Besondere Beachtung findet das Verhältnis zwischen Agrotourismus und
Landwirtschaft. Um die Bedeutung des Agrotourismus zu bestimmen, werden
im vorgestellten Departement seine Wechselwirkungen mit den
geographischen, historischen, demographischen, touristischen,
landschaftlichen und landwirtschaftlichen Gegebenheiten untersucht. Bei
dieser Untersuchung konnten im ländlichen Raum Probleme wie Rückgang der
Zahl landwirtschaftlicher Betriebe, Überalterung und Abwanderung
festgestellt werden. Gefährdet sind im Departement Calvados dadurch die
historisch landwirtschaftlich geprägte Heckenlandschaft Bocage und die
für sie charakteristische Streusiedlungsstruktur. Betriebe mit
agrotouristischer Aktivität erwiesen sich angesichts dieser Probleme als
besonders stabil; sie sind jedoch aufgrund ihrer relativen Seltenheit
nur begrenzt in der Lage den ländlichen Raum zu stabilisieren.
• im Westen: das Departement Manche
Der geologische Untergrund ist durch eine markante Grenze geteilt, die
von der nordwestlichen Ecke bis zur Stadt Falaise an der südlichen
Departementsgrenze in herzynischer Streichrichtung verläuft. Zwei Zonen
werden durch sie getrennt:
1. Südwestliche Zone des Departements:
Diese Zone gehört wie die Bretagne zum präkambrischen Armorikanischen
Gebirgsrumpf (Massif armoricain) und besteht aus W-O verlaufenden
Hügelketten aus Granit und metamorphen Gestein (Schiefern), deren
durchschnittliche Höhe zwischen 250 und 360m liegt, der Mont-Pinçon
bildet mit 365m den höchsten Punkt des Departements. Die
Heckenlandschaft, die für den normannischen Teil dieser geologischen
Struktur charakteristisch ist, wird als Bocage normand bezeichnet, im
Departement wiederum ist die Bocage in drei Regionen geteilt: die Bocage
virois, die Normannische Schweiz und die Pré-Bocage (siehe Abschnitt
2.1.4.2 und Anlagen 1 und 3). Die Hügelketten werden im rechten Winkel
von Flußtälern durchschnitten, die von Süden nach Norden verlaufen. Im
Westen ist dies der Fluß Vire. Das Flußsystem der Orne hat im östlichen
Ausläufer des Armorikanischen Gebirgsstockes durch seine
Erosionstätigkeit eine kontrastreiche Region geschaffen: die
Normannische Schweiz (la Suisse Normande). Vereinzelte, abgerundete
Gipfel und tiefe, vielgestaltige Täler verleihen der Normannischen
Schweiz Mittelgebirgscharakter. Die Orne durchzieht sie in harmonischen
Mäandern, deren Prallhänge teilweise bis zu 200m hohen Felswänden sind.
2. Nordöstlicher Teil des Departements
Geologisch zum Pariser Becken gehörend besteht der Untergrund aus
mesozoischen Schichten (Jura, Kreide) und quartären Ablagerungen. Im
Westen schließt sich nördlich an die Bocage der Bessin an: eine Ebene
mit vereinzelten Hügeln, Höhe 60-100m. Östlich davon folgt die Ebene von
Caen und Falaise, die sich bis zur Südgrenze des Departements erstreckt.
Ausgehend von einer durchschnittliche Höhe von 60m im Norden, steigt die
Ebene allmählich an und erreicht im Süden 206m. Der in der Umgebung von
Caen zu findende blaßockerfarbene Kalksandstein, «la Pierre de Caen»,
hat die Bauweise in der Stadt geprägt und wurde während der Herrschaft
Wilhelms des Eroberers über den Kanal transportiert und zum Bau des
Towers in London verwendet. Er besitzt gute statische Eigenschaften und
läßt sich leicht bearbeiten, bezeichnend dafür ist das Sprichwort «Der
Caennaiser Kalkstein läßt sich schnitzen wie Holz und ist hart wie
Granit». Die meisten historischen Bauwerke der Stadt (Schloß, Kirchen)
sind aus diesem Material gebaut, das aber auch noch heute häufig
Verwendung findet.
Bis zur östlichen Departementsgrenze folgt das wieder von stärkeren
Reliefunterschieden geprägte Plateau des Pays d’Auge, dessen mittlere
Höhe bei 150m liegt aber auch 220m werden im Süden erreicht. Jurassische
Sedimente im Westen werden durch kretazische im Osten abgelöst.
Bevölkerung (Zahlenangaben nach MILERON, 1991)
1990 wurden im Departement 618 258 Einwohner gezählt, die
Bevölkerungsdichte betrug 113 Einwohner/km² (Basse-Normandie:80,
Frankreich:105). Im Zeitraum 1982-1990 betrug die Mortalität 8,8/1000
und die Natalität 14,7/1000 der Migrationssaldo betrug +738, die
Bevölkerungszahl wuchs um 29 170 Personen. 62% der Bevölkerung lebten in
41 Städten, ein Drittel der Gesamtbevölkerung im Großraum Caen.
Caen 112 872 Vire 12 903
Großraum Caen 191 505 Honfleur 9 000
Lisieux 23 778 Falaise 8 130
Bayeux 14 733 Condé/Noireau 6 315
Die Bevölkerungsdichte ist am höchsten in den Regionen um Caen, Bayeux
und Lisieux und entlang der Küste. Die niedrigste Dichte ist, abgesehen
von der Stadt Vire und ihrer näheren Umgebung, im westlichen Teil des
Departements anzutreffen.
Der ländliche Bevölkerungsanteil bewohnt 664 Dörfer, die sich im
wesentlichen im südlichen und westlichen Drittel des Departements
befinden. Diese Region ist von einer starken Abwanderung betroffen,
während der Großraum Caen und die Städte Bayeux und Lisieux wie auch die
Küstenregion von einer bedeutenden Zuwanderung profitieren. Zu der
Region Bocage im Südwesten des Departements stellte ANDRE (1993) fest,
daß die abnehmende Bevölkerungszahl das direkte Resultat der
Schwierigkeiten der Landwirtschaft und bestimmter Industriezweige sei.
Es soll anhand der Beispiele im Abschnitt 2.2 untersucht werden, ob der
Agrotourismus der Abwanderung in dieser Region entgegenwirken kann.
2.1.3 Die Landwirtschaft im Departement
Während im 18. Jahrhundert noch der Getreideanbau dominierte, erfolgte
danach ein Aufschwung der Milch- und Rindfleischproduktion. Der Bedarf
an diesen Erzeugnissen im wachsenden Paris sorgte für einen profitablen
Absatz. Der Pays d’Auge wurde berühmt für seine Käse und der Bessin für
die Butter. Die im Departement produzierten Käsesorten Livarot und Pont
l’Evêque sowie die Marken «President» und «Cœur de Lion» für Butter und
Camembert sind in ganz Frankreich geschätzt und illustrieren so die
Bedeutung der normannischen Milchwirtschaft. Mit der Umwandlung der
Ackerflächen in Dauergrünland erfolgte gleichzeitig die Anpflanzung von
hochstämmigen Apfel- und Birnbäumen auf diesen Weideflächen, besonders
denen des Pays d’Auge (GOURMELEN, 1994). Die Obstbaumwiesen bereichern
auch heute noch die Landschaft. Der aus Apfelsaft erzeugte moussierende,
leicht alkoholische (2-6 Vol%) Cidre und der daraus gebrannte Calvados
erfreuten sich im 19. und besonders in der ersten Hälfte des 20.Jh.
großer Beliebtheit und sorgt für ein zusätzliches Einkommen der
Bauernhöfe. Nach CALMES (1995) ging aber die Cidreerzeugung im Gebiet
der Basse-Normandie von 18 Millionen Hektolitern im Jahre 1900 auf 1
Millionen Hektoliter 1984 zurück. Heute betreiben die meisten
landwirtschaftlichen Betriebe im Departement die Cidreherstellung für
den Eigenbedarf und teilweise für den Verkauf. Fahrbare Anlagen
(Traktorenanhänger mit zapfwellengetriebener Hydraulikpresse) bedienen
im Herbst die Bauernhöfe und erledigen das Pressen des Saftes, der auf
den Hof in Fässern vergoren wird.
Die Milchproduktion ist auch heute noch der dominierende Zweig der
departementalen Landwirtschaft, 1995 gab es 4121 Milchproduzenten von
denen 36% im Arrondissement Vire (Bocage, Südwesten des Dep.) zu finden
sind. Vire erhielt 1950 den Titel «Französische Hauptstadt der Butter».
Neben der Bocage sind der Bessin und der Pays d’Auge für die
Milchproduktion berühmt. In der Ebene von Caen und Falaise ist dagegen
der Getreideanbau vorherrschend.
Tabelle 2 Erlöse aus landwirtschaftlicher Produktion im Departement
Calvados 1993 (CHAMBRE D’AGRICULTURE DU CALVADOS, 1994)
Tierische
Erzeugnisse 72% Pflanzliche
Erzeugnisse 28%
davon:-Milch 38%
-Fleisch 30%
-versch: 4% davon:-Getreide 10%
-versch. 18%
Tabelle 3 Bodennutzung in Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LONGEAUX,
1994)
Nutzung 1979 1988 1993
Getreide
Indstriekulturen
Leguminosen
GESAMT 20
4
1
25 21
4
5
30 20
3
8
31
Flächenstillegung - - 5
Futterkulturen
Dauergrünland 12
63 12
57 15
48
Der Dauergrünlandanteil verringert sich jedoch 1994 auf 42,7%, die
Anteile von Leguminosen und Silomais als Futterkultur steigen.
Einige Zahlen zur Entwicklung von 1988 bis 1993 (LONGEAUX,1994):
• Verlust von jährlich 450 Betrieben, (entspricht einer Verringerung um
3,9%)
• Verringerung der landwirtschaftlich genutzten Fläche um jährliche 6000
ha
• Anstieg der durchschnittlichen Betriebsgröße von 30,8 auf 37,1 ha
• Anstieg des Anteils von Betrieben mit weniger als 5 ha: 21% auf 27%
• Ende 1993 lebten oder arbeiteten 32.600 Personen in
landwirtschaftlichen Betrieben diese Zahl verringerte sich jährlich um
4,5%
• Durchschnittsalter der Betriebsbesitzer 1993: 51 Jahre
• 1993 verringerte sich das Bruttoeinkommen der Betriebe um 13,1%
Angesichts dieser Entwicklung (Überalterung und Betriebsaufgabe) erfolgt
eine zunehmende Entvölkerung dünnbesiedelten Raumes, besonders die für
den Südwesten des Departements typischen Einzelgehöfte werden verlassen.
Damit ist ein Verlust von teilweise historisch bedeutenden Gebäuden, die
einer Unterhaltung bedürfen, verbunden und die pflegebedürftige
Kulturlandschaft Bocage normande droht zu verwildern.
Anhand der Beispielbetriebe im Punkt 2.2 soll abgeschätzt werden, welche
Möglichkeiten der Agrotourismus zur Lösung der Probleme der
Landwirtschaft bieten kann. Zur Beurteilungung dieses Potentials wurden
deshalb Betriebe herangezogen, in denen die agrotouristische Aktivität
in einem jeweils anderen Verhältnis zur landwirtschaftlichen Aktivität
steht.
2.1.4 Tourismus im Departement
2.1.4.1 Allgemeines
Es können folgende touristische Schwerpunkte im Departement
unterschieden werden:
1. Der Seebäder an der Calvadosküste.
2. Die geschichtlichen Zeugnisse aus der Zeit Wilhelm des Eroberers.
3. Die Stätten der Alliiertenlandung 1944.
4. Die Landschaft und die traditionsreiche bäuerliche Kultur des
Binnenlandes.
2.1.4.2 Touristische Ziele
Eine Vielzahl landschaftlich reizvoller, kulturell und historisch
bedeutender Anziehungspunkte verleihen dem Departement eine besondere
touristische Attraktivität. Vom Departementalrat wird eine
Unterscheidung von 5 touristischen Zonen (siehe Anlage1), die nicht
immer mit den geographischen Bezeichnungen übereinstimmen, angewendet (GITES
DE FRANCE CALVADOS, 1994):
1. Der Bessin im Nordwesten. Die Stadt Bayeux als Zentrum bietet mit
ihrer gotischen Kathedrale, dem Museum «Teppich von Bayeux» und weiteren
Museen einige der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten. Das umgebende
Binnenland ist von Wiesen und Weiden geprägt. Historisch bedeutsame
befestigte Bauernhöfe (fermes fortifiées), Herrenhäuser (manoirs) und
zahlreiche Schlösser (Fontaine Henry, Creully, Balleroy, Colombieres...)
bereichern diese Region. Im Nordwesten, im Tal des Grenzflusses Vire,
beginnt der Naturpark der Moore des Cotentien und des Bessin (Parc des
Marais du Cotentin et du Bessin). An der Bessinküste fand das blutigste
der fünf Landungsunternehmen (UTAH, OMAHA, GOLD, JUNO, SWORD) des 6.
Juni 1944 statt: die Operation OMAHA. Der Soldatenfriedhof Omaha-Beach,
auf dem 9000 amerikanische Soldaten beigesetzt sind, hat jährlich weit
über eine Millionen Besucher und ist somit der von Touristen am
stärksten frequentierte Ort des Departements. Weitere bauliche Zeugen
des Zweiten Weltkrieges wie die Reste des provisorischen Kriegshafens
bei Arromanches, die Artilleriestellungen von Longes-sur-Mer sowie
andere Verteidigungsanlagen und Dokumentationszentren, wie das Rundkino
von Arromanches, wo Originalaufnahmen des Kriegsgeschehens vorgeführt
werden, ziehen geschichtlich interessierte Touristen an. Die Küste des
Bessin besteht fast ausschließlich aus Sandstränden, die zahlreichen
Hotels, Gaststätten und Feriensiedlungen profitieren von einem regen
Badetourismus.
2. Die Region Pré-Bocage / Bocage im Westen und Südwesten schließt sich
südlich an den Bessin an. Die Pré-Bocage im Norden bietet mit der
Touristenstraße «Route de Traditions» (siehe Abschnitt 2.2.4) eine
Möglichkeit, landwirtschaftliche und handwerkliche Methoden
kennenzulernen und Produkte der Region zu erwerben. Auf die ländliche
kulinarische Tradition wird dabei besonders Wert gelegt. Als Bocage
(franz.: le bocage, abgeleitet aus „le bosquet“-Wäldchen, Baumgruppe)
wird nach der Einteilung des Departementalrates der eigentlich um die
Stadt Vire gelegene und vom gleichnamigen Fluß entwässerte, Bocage
virois genannte Teil der für die südwestlichen Normandie
charakteristischen, von der Landwirtschaft geprägten Kulturlandschaft
Bocage normand bezeichnet. Die Felder von geringer Größe (etwa 0,5-10
ha), meist Grünland, aber auch Silomais und Getreide werden angebaut,
sind von Hecken und Baumreihen begrenzt und es ergibt sich dadurch ein
farblich und strukturell vielfältiges charakteristisches Landschaftsbild
(siehe Anlage 3). Die touristische Attraktivität wird besonders durch
die abwechslungsreiche Hügellandschaft und das Tal des Flusses Vire
bewirkt. Verkehrs- und industriearme Landstriche laden zu erholsamen
Wanderungen ein. Harmonisch fügt sich die für die Region typische
Bauweise aus Granit und Schiefern in die Landschaft ein. Die
Landwirtschaft hat auch die Siedlungsstruktur der Gemeinden in der
Bocage geprägt: Um das kleine Dorfzentrum (le Bourg) liegen zahlreiche
Einzelgehöfte und Weiler in Streusiedlungsform auf dem Gemeindegebiet
gleichmäßig verteilt.
3. Der Zoo von Jurques, eine zu besichtigende Miene in der
Schiefergestein des Armorikanischen Gebirgsstockes abgebaut wurde («Souterroscope
des Ardoisières» in Caumont-l’Evente) und ein am stillgelegten Viadukt
von Soulevre eingerichtetes Zentrum für Bungee-Springen wurden zur
touristischen Bereicherung eingerichtet. Selbst arm an international
bekannten Sehenswürdigkeiten, profitiert die Bocage virois jedoch von
deren Vorhandensein in den benachbarten Regionen. Hier sind besonders
der Mont Saint Michel, die Stadt St. Malo, die Küste der
Alliiertenlandung, die Normannische Schweiz, Bayeux und Caen zu nennen.
Somit bietet sich die Region als Ausgangspunkt für Tagesreisen in
verschieden Richtungen an. Besonders ausländische Gäste, die eine lange
Anreise absolvieren und möglichst viele international bekannte
Sehenswürdigkeiten und eine größere Region kennenlernen möchten,
bevorzugen deshalb die Bocage, ihr Anteil betrug 1994 in der Bocage
virois bei der Reservierung von Gîtes ruraux 47% und 42% für die
Chambres d’Hôtes (CALVADOS TOURISME, 1995). Da keine größeren Städte mit
entsprechender Hotellerie, dafür aber zahlreiche Bauernhöfe vorhanden
sind, stellen letztere das durch die touristisch günstige Lage gefordert
Übernachtungspotential dar.
4. Die Ebene von Caen befindet sich im Norden des Departements zwischen
dem Bessin und dem Pays d’Auge. Die Stadt Caen prägt des touristische
Geschehen dieser Region. Bedeutende Sehenswürdigkeiten wie das Schloß
Wilhelm des Eroberers aus dem 11.Jh, auf dessen Gelände sich das Museum
der Normandie und das Museum der Schönen Künste befinden; die
architektonisch bedeutenden Abteikirche St. Etienne, die romanische und
gotische Stilelemente vereinigt und in der Wilhelm der Eroberer
beigesetzt ist; die Abbay-aux-Dames und das der Landung der Alliierten
und dem Zweiten Weltkrieg gewidmete Museum «Memorial» tragen dazu bei.
Trotz der erheblichen Schäden des 2. Weltkrieges existieren noch einige
Stadtviertel mit historischer Bausubstanz.
5. Innerhalb der Grenzen der touristischen Region Normannische Schweiz
wurden vom Departementalrat die zur Bocage gehörige Normannische Schweiz
im Westen und die Ebene um die Stadt Falaise im Osten zusammengefaßt.
Erstere bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten zur sportlichen
Betätigung. Verschiedene Wassersportarten wie Kanu- und Kajakfahrten,
Bergsteigen und Gleitschirmfliegen lassen sich im Ornetal und zwar
besonders in der Umgebung der Stadt Clecy, die auch als Hauptstadt der
Normannischen Schweiz bezeichnet wird, praktizieren. Um das touristische
Angebot der Normannischen Schweiz zu bereichern und eine ganzjährige
Unterhaltung sicherzustellen, wurde in der Stadt Thury-Harcourt ein
modernes Hallenbad (Centre Aquatique de la Suisse Normande) errichtet.
Zahlreiche ausgeschilderte Wanderrouten ermöglichen den Zugang zu
beeindruckenden Aussichtspunkten über das Ornetal. Die Stadt Falaise
stellt mit dem Schloß, in dem Wilhelm der Eroberer geboren wurde, ein
wichtiges touristisches Zentrum dar.
6. Östlich an die Normannische Schweiz und die Ebene von Caen und
Falaise schließt sich der Pays d’Auge an, eine Region, die bis zum
Flusse Risle im Departement Eure reicht und Teile des Departements Orne
umfaßt. Die von der Rinderhaltung und der Cidreherstellung geprägte
Hügellandschaft bietet durch ihre landwirtschaftliche Tradition ein
interessantes Erholungspotential. Das auf Postkarten und in Prospekten
oft zu findende, zu einem Markenzeichen für die Normandie gewordene Bild
von unter Apfelbäumen grasenden Normannischen Rindern ist eigentlich für
den Pays d’Auge repräsentativ. Im Gegensatz zum westlichen Teil des
Departements, wo traditionell mit Granit und Schiefer gebaut wird,
dominiert im Pays d’Auge das normannische Fachwerk, ein weiteres als
typisch normannisch angesehenes Element, mit zahlreichen eng gesetzten
Balken und länglich-schmalen parallelen Fächern, teilweise sind
Strohdächer zu finden. Das Dorf Beuvron-en-Auge wurde dank seiner
ländlichen Fachwerkhäuser zum touristischen Zentrum. Der Tourismus
förderte seinerseits die Erhaltung und Renovierung entsprechender Häuser
und selbst die Anwendung dieses Stils, zumindest für die
Fassadengestaltung, bei Neubauten. Die touristische Erschließung dieser
Region wurde mittels der Route du Cidre (siehe Abschnitt 2.2.4)
gefördert. Die Geschichte und Herstellungsverfahren der nach Orten des
Pays d’Auge benannten und hier hergestellten Käsesorten Livarot und Pont
l’Evêque (mit Camembert, die drei klassischen normannischen Käse) werden
im Käsemuseum von St.-Pierre-sur-Dives dargestellt.
Die Stadt Lisieux ist ein Wallfahrtsort der römisch-katholischen Kirche.
Jährlich pilgern über eine Millionen Menschen zur 1929 im
romano-byzantinischen Stil errichteten Basilika St. Thérèse und zu den
in der Kapelle Camel aufbewahrten Reliquien der Heiligen.
Die Nordgrenze des Pays d’Auge bildet die als Côte Fleury bezeichnete
Küste, an der sich einige bedeutende Seebäder befinden. Pionierfunktion
hatten die Küstenorte Trouville und Deauville, da sie die von Paris aus
am schnellsten zu erreichenden Strände sind. Die direkte Bahnverbindung
und die Autobahnanbindung der beiden Orte (in weniger als 2 Stunden von
Paris zu erreichen) förderten deren Aufstieg und haben aus Deauville das
mondänste Seebad der Normandie gemacht. Die Städte Honfleur, Cabourg und
Houlgate sind weitere berühmte Badeort der Calvadosküste. Der Tourismus
der Seebäder ist die wirtschaftlich bedeutendste Form im Departement,
aufgrund des Themas dieser Arbeit soll jedoch nicht weiter darauf
eingegangen werden.
Besucherzahlen wichtiger Sehenswürdigkeiten 1994 (CALVADOS
TOURISME,1995)
1 US-Soldatenfriedhof Omaha-Beach 2 200 000
2 Basilika von Lisieux 1 200 000
3 Museum MEMORIAL, Caen 619 314
4 Museum Teppich von Bayeux 507 000
5 Museum der Alliiertenlandung Arromanches 480 930
6 Tierpark Herminal les Vaux 212 000
7 Tierpark Jurques 100 000
8 Wassersportzentrum Normannische Schweiz 98 000
9 Museum der Normandie, Caen 75 008
Zu berücksichtigen sind die hiermit nicht erfaßten Besucher der
Badestrände und historischen Stadtzentren. Die hohe Besucherzahl des
US-Soldatenfriedhofes war zwar wegen der Feierlichkeiten 1994 sehr
bedeutend, aber auch 1993 wurden 1 200 000 und 1992 insgesamt 1 350 000
Besucher gezählt.
Bettenzahl+Camping
Hotels: 18.344
Gîtes ruraux und Chambres d’Hôtes: 6.383
Ferienzentren: 5.513
Zweitwohnungen: 292.910
Campingkapazität: 42.582
2.1.4.3 Verkehrsanbindung des Departements
Wie aus Abbildung 1 (S.17) ersichtlich ist, ist das Departement von
verschiedenen Ballungszentren umgeben (Einwohnerzahl von 1990 in
Klammern):
• das untere Seinetal mit den Städten Rouen (380 161) und Le Havre (253
627)
• Paris, direkt über die Autobahn A 13 zu erreichen (220km Paris-Caen)
• die Stadt Rennes (245 065) ca 140 km, erreichbar über die
Nationalstraße 175, die gegenwärtig zur Autobahn ausgebaut wird
• die Ballungszentren Le Mans (140km) (189 107), Tours (220km) (282
152), erreichbar über die RN 158 und Chartres (190km)
1994 nutzten 1.151.524 Passagiere die Fährverbindung
Ouistreham-Portsmouth. Über den Flughafen Caen-Carpiquet bestehen
Verbindungen mit Le Havre, London, Brüssel, Rennes Lyon, Toulouse,
Nizza, Bordeaux, Marseille, Clermont-Ferrand und Montpellier. Der zweite
Flughafen des Departements, Deauville-St.-Gadien bietet eine permanente
Verbindung mit London und von Juni bis September mit Nizza und der Insel
Jersey. Es existieren Bahnverbindungen mit Paris, Cherbourg und Le
Mans-Tours.
Die guten Verkehrsverbindungen mit wichtigen Ballungszentren sind eine
günstige Voraussetzung für den Tourismus im Departement.
2.2 Formen und Initiativen des Agrotourismus im Departement
2.2.1 Allgemeine Angaben
Die Normandie ist besonders im Großraum Paris aber auch in der
französischen Provinz bekannt für ihre Milcherzeugnisse, den Cidre und
Calvados, die Streuobstwiesen und Bocage-Hecken, die Fachwerk- und
Natursteinhäuser. Diese Reputation als landwirtschaftlich geprägte
Region wird besonders auf das Departement Calvados bezogen, wo all diese
Elemente anzutreffen sind.
Belange des Agrotourismus organisiert die 1973 gegründete Association
des Gîtes ruraux du Calvados. In ihrem Vorstand (Conseil
d’Administration) sind folgende, für den Agrotourismus relevante
Institutionen des Departements vertreten (GÎTES DE FRANCE CALVADOS, 1995
b): Departementalrat (Conseil Général), die Landwirtschaftskammer, die
Bank Crédit Agricol, die bäuerliche Sozialversicherung (Mutualité
Sociale Agricole), der Ausschuß für ländliches Wohnen (Comité Habitat
Rural), eine landwirtschaftliche Rückversicherungsgesellschaft (Caisse
de Reassurances Agricoles), das departementale Komitee für Tourismus,
die departementalen Gesellschaft der Fremdenverkehrsbüros. Weiterhin
existieren Sektionen für die jeweiligen Formeln (Gîte rural, Chambres
d’Hôtes...) deren jeweiliger Vorsitzender (es handelt sich immer um
einen Betreiber einer agrotouristischen Einrichtung) dem Vorstand
angehört.
Im März jeden Jahres findet eine Generalversammlung der Mitglieder statt
auf der das vergangene Jahr bilanziert und Neuorientierungen festgelegt
werden. Der Vorstand beschließt die Aufgaben des zur
Landwirtschaftskammer gehörenden Büros Gîtes de France Calvados. Dieses
ist gleichzeitig Repräsentant (Antenne départemental) der Fédération
nationale des Gîtes de France und exekutives Organ der Association des
Gîtes ruraux du Calvados. Dem Büro gehört ein Buchungs- und
Auskunftsservice an.
Das Büro organisierte 1994 folgende Aktivitäten (GITES DE FRANCE
CALVADOS, 1995 b):
• Werbung: Teilnahme an Messen und Salons (2x in Großbritannien, 1x USA,
3x Frankreich)
Informationsstände in Supermärkten (10)
1 Radiokampagne, Annoncen in drei Tageszeitungen
• Weiterbildung: fünf Lehrgänge zu Verwaltung, Einrichtung, englischer
Sprache
• Erfahrungsaustausch: 11 Veranstaltungen
• Tage der offenen Tür
• Studienreise zum Erfahrungsaustausch in die Umgebung der Stadt Tours/Loire
Weitere, den Agrotourismus betreffende Initiativen werden vom
Departemetalrat und der Handelskammer organisiert, im Departement
betrifft dies u.a. die im Punkt 2.2.4 beschriebene Einrichtung
touristischer Straßen.
Das Departement Calvados ist aufgrund des vielfältigen touristischen
Angebots und einer bedeutenden Zahl landwirtschaftlicher Betriebe mit
regional charakteristischen Gebäuden ein für den Agrotourismus
geeignetes Gebiet. Dementsprechend ist die Ausstattung mit
agrotouristischen Einrichtungen vielfältig und zahlreich.
Tabelle 4 (GITES DE FRANCE CALVADOS, 1995 b)
Einrichtungen jeweils am 1. Juli
Jahr 1974 1979 1984 1989 1993 1994
Gîtes ruraux 27 183 404 505 610 670
Gîtes de Mer - - - 1 37 40
Chambres d’Hôtes 14 156 286 487 642 722
Camping (bis 6 Plätze) 1 6 14 12 16 13
Camping (bis 25 Plätze) - 7 11 13 12 11
Gîtes d’Etape et de Groupe - - 3 13 24 24
Gîtes Equestres - 1 2 2 2 4
Gîtes d’Enfants - 1 4 5 7 7
Fermes-Auberges und
Auberges du Terroir - 5 5 14 12 14
Aus Anlage 2 lassen sich folgende Verallgemeinerungen zur Verteilung der
Gîtes ruraux und Gîtes de mer ableiten: Auf dem gesamten Gebiet des
Departements sind die Gîtes mit mehreren Schwerpunkten verteilt. Im
Nordwesten (Bessin) tritt aufgrund der Meeresnähe eine besondere Häufung
auf. Diese Häufung agrotouristischer Einrichtungen in unmittelbarer
Küstennähe fehlt im mittleren und östlichen Teil der Küste des
Departements, da hier die touristische Erschließung schon lange vor der
Gründung von Gîtes de France begonnen hatte und somit andere Unterkünfte
(Hotels, Feriensiedlungen) dominieren. Die Region Pré-Bocage/Bocage ist
gleichmäßig mit Gîtes ausgestattet, die Konzentration entlang der
NO-SW-Diagonale der Region entspricht dem Verlauf der Nationalstraße
N175, die gegenwärtig zur Autobahn ausgebaut wird. In der Normannischen
Schweiz ist die stärkste Konzentration von Gîtes anzutreffen. In der
geographischen Mitte des Departements sind nur wenig agrotouristische
Einrichtungen zu finden, hier wird intensiv großflächiger Getreideanbau
betrieben. Im Nordosten des Pays d’Auge ist im Gebiet der Route du Cidre
(siehe Punkt 2.2.4) eine hohe Konzentration festzustellen.
2.2.2 Vier Beispiele für agrotouristische Einrichtungen
Bei der Auswahl der folgenden Beispielbetriebe sollte besonders ein
repräsentativer Querschnitt für die verschiedenen Grade, die das
Verhältnis zwischen Agrotourismus und Landwirtschaft in einzelnen
Betrieben annehmen kann, geschaffen werden. Auch die unterschiedliche
Lage zu touristischen Zentren und die Vielfalt der durch den
Agrotourismus bewirkten Veränderungen waren Entscheidungskriterium bei
der Auswahl. Siehe Anlage 1
2.2.2.1 Die Gîtes des Bauernhofes «La Dalinière»
Die 4 Gîtes ruraux von Madame und Monsieur Lepetit sind auf einem
ehemaligen Bauernhof eingerichtet. Es handelt sich um ein zum Weiler
Sébire (siehe Anlage 4) gehörendes Einzelgehöft, das etwa 800m vom
Weiler (dem Wohnort des Ehepaares) und 2km vom Gemeindezentrum Clecy
entfernt, in der Normannischen Schweiz liegt.
Monsieur Lepetit erbte den Hof von seinen Großeltern. Seit 1943 wurden
die Gebäude nicht mehr von den Großeltern genutzt, sie dienten lediglich
als Lagerräume für altes landwirtschaftliches Gerät und Futter. Eine
nicht zur Familie gehörende Frau ohne eigenes Einkommen lebte in den
sechziger und siebziger Jahren im ehemaligen Wohnhaus.
1975 beschloß Monsieur Lepetit auf Anregung der Landwirtschaftskammer
die ungenutzten Gebäude als Gîte ruraux zu renovieren. Der Hauptgrund
war für ihn, sich für die Zukunft ein zweites Einkommen neben der
geringen Rente zu schaffen. Mit einer Unterstütz von 7500 F wurde 1976
der Gîte rural Nr.13 (später geändert in Nr.17) des Departements
Calvados eingeweiht. In einem der beiden Wohngebäude des Hofes wurde
eine Unterkunft für 6-8 Personen mit Küche und Aufenthaltsraum mit Kamin
im Erdgeschoß sowie 2 Schlafzimmern und Bad in der 1. Etage
eingerichtet.
1978 wurde im ehemaligen Pferdestall ein zweiter Gîte (Nr. 178) für 6
Personen geschaffen. Dies wurde von der Landwirtschaftskammer mit 25000
F gefördert.
Angeregt durch den Erfolg der ersten beiden Gîtes und den Bedarf nach
Unterkünften für Gruppen Rechnung tragend wurde 1983 der Gîte Nr. 428
für 13 Personen eingeweiht. Das zweistöckige Gebäude war Kuhstall mit
Heuboden. Da Förderungen nur für 2 Gîtes gewährt werden, finanzierte die
Familie den Umbau mit einem Kredit von 200.000 F.
Nach mehreren Jahren selbstfinanzierten Umbaus wurde 1987 der 4. Gîte
(Nr. 93) eingeweiht. Es handelt sich um ein ehemaliges Lagergebäude für
Cidrefässer, das, durch 2 Anbauten erweitert, 8-10 Gäste beherbergen
kann.
Abbildung 2: Der Salon des Gîte Nr.93 auf dem Hof «La Dalinière» -
Natursteinkamin und Balkendecke sind charakteristisch für normannische
Bauernhäuser
Ein ehemaliges Wohnhaus steht leer, zwei Schuppen dienen als Lager für
Kaminholz bzw. Garage.
Auf dem ehemaligen Gehöft können so gleichzeitig bis zu 37 Personen
wohnen. Trotzdem ist eine ungestörte Erholung möglich: jeder Gîte
besitzt ein ausgedehntes und durch Hecken abgegrenztes Gartengrundstück
mit einer Terrasse.
Nach Angaben der Besitzer beträgt die Auslastung pro Gîte
durchschnittlich 18 Wochen pro Jahr, 1994 wurden 120 000 F eingenommen.
Die Mitgliedschaft in der Interessengemeinschaft Gîtes de France kostet
4000 F. Es fielen insgesamt 40.000 F Kosten an. So konnte das Ehepaar
ein monatliches Zusatzeinkommen von 6600 F (etwa 1940 DM)
erwirtschaften. Zur Werbung wurde ein Faltblätter mit den vier Gîtes und
Postkarten gedruckt, die die Betreiber an ihre Gäste verteilen oder auf
Anfragen verschicken.
Das Rentnerehepaar hat seit 1988 den Viehbestand verkauft und die Felder
verpachtet. Bis dahin wurden 70 ha (davon 45 gepachtet) bewirtschaftet
und 50-60 Milchkühe gehalten. Neben Heu und Silomais für die Milchkühe
wurde Weizen und Gerste angebaut und verkauft.
Monsieur (75) und Madame (72) Lepetit sehen heute ihre wichtigste
Beschäftigung in der Unterhaltung der Gîtes ruraux und des Wohnhauses.
Zu der Betreuung der Gäste gehört auch die kostenlose Bereitstellung
selbstgemachten Cidres und der Empfang im eigenen Haus. Die Begegnung
mit neuen Gästen bereitet keine Probleme, die Gastgeber bedauern zwar,
keine Fremdsprache zu beherrschen, sind jedoch sehr gewandte und
interessierte Gesprächspartner, die ungezwungenen herzlichen Empfänge
zum Aperitif am Küchentisch gehören zur Tradition.
Bezüglich der Klientel lassen sich nach Angaben von Madame Lepetit keine
besonderen Prioritäten bezüglich Beruf und Herkunft feststellen. Die
Normannische Schweiz zieht zum einen Gäste aus ganz Frankreich an,
Nordfrankreich (Rouen, Le Havre) und Paris sind etwas stärker vertreten
zum anderen verbringen viele ausländische Gäste hier ihren Urlaub. Als
Ursprungsländer wurden Belgien, die Niederlande, Deutschland,
Großbritannien, Kanada und die Vereinigten Staaten genannt.
Vorherrschend sind Familien mit Kindern, aber auch Ehepaare oder Gruppen
von Studenten besuchen die Gîtes.
Die Aufenthaltsdauer beträgt meistens eine, manchmal auch zwei Wochen.
Aufenthalte von drei Wochen waren in den achtziger Jahren häufig, sind
jedoch gegenwärtig sehr selten.
2.2.2.2 Die Gîtes des Bauernhofes «Le Costil»
Der Bauernhof ist ein Einzelgehöft, das zur Gemeinde Truttemer-le-Grand
gehört, von deren Zentrum es etwa 5 km entfernt liegt. Er ist ein
typisches Beispiel für die durch die Landwirtschaft geprägte
Siedlungsstruktur in der Heckenlandschaft Bocage: Einzelgehöfte oder
Weiler sind in einem Abstand von etwa 0,5-2 km verteilt und
bewirtschaften die umliegenden Felder. Dabei handelt es sich im
wesentlichen um Dauergrünland mit zahlreichen Heckenstreifen (siehe
Anlage 3).
Der Betrieb hat eine Größe von 75 ha wovon 54 als Weideland genutzt
werden, ansonsten wird Silomais und Winterweizen angebaut. Monsieur
Faudet hält 40 Milchkühe und nutzt eine Quote von 160.000 Litern.
Daneben dienen der Verkauf von Kälbern und Winterweizen zur Steigerung
des Einkommens.
Angeregt durch das Beispiel seiner Eltern, die 2 Gîtes ruraux (Nr. 191
und 579, für insgesamt 10 Personen) betreiben, richtete M. Faudet 1988
seinen ersten Gîte (Nr.667, 4-6 Plätze) ein. Es handelte sich um ein
ungenutztes ehemaliges Speichergebäude, daß vor der Alternative Gîte
oder Abriß stand. Der zweite Gîte (Nr.1073) wurde 1994 fertiggestellt,
ein ebenfalls ungenutztes Wohngebäude des Hofes bietet heute 6 Personen
Unterkunft. Daß vier Gebäude des Weilers, der heute ansonsten nur von
der Familie Faudet bewohnt ist, ausgebaut werden konnten, ist ein
typisches Ergebnis der Entwicklung der Landwirtschaft dieser Region:
benachbarte Höfe werden zur Steigerung der Betriebsgröße und
Rentabilität aufgekauft, die ehemaligen Besitzer ziehen in die Stadt und
die Wohn- und Nebengebäude stehen leer.
Neben der Erhaltung und Nutzung der Gebäude gibt Madame Faudet als Grund
für die Einrichtung der Gîtes das Interesse an Kontakten mit fremden
Menschen an. Die Betreuung des Viehbestandes erlaubt kaum Ferienreisen,
dafür kommen jetzt Menschen aus verschiedenen Ländern auf den Bauernhof.
Die Gîtes ruraux des Bauernhof wurden von einer niederländischen
Reiseagentur ausgewählt und gehören jetzt zu deren Unterkunftsangebot.
Dadurch wird eine volle Auslastung im Sommer sichergestellt. Daneben
werden die Gîtes durch den telefonischen Reservationsservice des
Departements betreut. Die Gäste kommen vornehmlich aus den Niederlanden
und Großbritannien.
Sie können an den landwirtschaftlichen Geschehen teilhaben, das Melken
der Kühe wird vorgeführt, bei Gelegenheit kann man dem Kalben beiwohnen
und M. Faudet überläßt es den Gästen, den neugeborenen Kälbern einen
Namen zu geben. Somit wird es ermöglicht, das Leben auf den Bauernhof
kennenzulernen. Bauliche Veränderungen der Stallungen und Melkanlagen
für Belange des Tourismus sind nicht erfolgt, Monsieur und Madame Faudet
nehmen sich jedoch die Zeit, ihren Besuchern das Geschehen zu erklären.
Dazu gehört auch die Einladung zu Kaffee und Calvados, der auf dem Hof
gebrannt wird.
Aus dem Gästebuch konnte entnommen werden, das besonders die familiäre
Atmosphäre und die Begegnung mit den Tieren von den Besuchern geschätzt
wird. Weiterhin gab es Auskunft über die touristischen Aktivitäten
während der Aufenthalte. Diese bestanden besonders aus Besuchen des Mt.
St. Michel (60km), Baden, Besuchen der Stadt Domfront mit ihrer
historischen Festung. Daneben wurden Wanderungen durch die Bocage
normand geschätzt (M. Faudet unterbreitet Vorschläge zu verschiedenen
Routen) und besonders die zum Nichtstun einladende erholsame Ruhe. Auch
die Abende vor den Kaminen trugen zu den ausschließlich guten Kritiken
bei. Bei einem eigenen Besuch konnte festgestellt werden, daß die
Umgebung zwar über keine touristische Signalisation (Wegweiser,
Orientierungstafeln) verfügt, Wanderungen dank der heckenreichen
Hügellandschaft und der zahlreichen Hohlwege aber trotzdem ein
einzigartiges Erlebnis sind. Hinderlich waren bisweilen die
Stacheldrahtzäune der Feldbegrenzungen.
Die Streusiedlungsstruktur aus Einzelgehöften ist typisch für die Bocage
virois. Für das Überleben dieser isolierten Einzelgehöfte ist neben der
Landwirtschaft der Tourismus eine wichtige Voraussetzung. Die
Subventionen und Einkünfte tragen zur Erhaltung der Gebäude bei. Der
Kontakt mit Fremden belebt den Alltag und steigert die Lebensqualität.
2.2.2.3 Der Reiterhof «La Cordière»
Der Reiterhof befindet sich in der Gemeinde Noyers-Bocage 22km
südwestlich von Caen, direkt an einer Abfahrt der vierspurigen
Nationalstraße RN175. Monsieur Flaguais hat 1977 begonnen, den 27 ha
großen Betrieb zu übernehmen. Er betrieb zunächst Rinder- und
Geflügelmast, baute Wintergetreide sowie Silomais an. Angesichts der
sich verschlechternden Marktsituation für Rindfleisch wurden neue
Einkommensquellen gesucht. Es erfolgten mehrere Schritte zur Umwandlung
des Hofes. Zunächst wurden Reitpferde und Ponys angeschafft und M.
Flaguais erwarb eine Zulassung als Begleiter für Reittourismus. Er
organisiert jährlich mehrtägige Wanderungen zu Pferde zum Mt. St. Michel
(5Tage), in die Normannische Schweiz (2Tage) oder an die Kanalküste wie
auch eintägige Ausritte und Reitstunden. Bei ein- und mehrtägigen
Wanderungen ist im Preis der auf dem Hof zubereitete Proviant für die
Teilnehmer inbegriffen - eine zusätzliche Einnahme durch den
Reittourismus.
Gleichzeitig erfolgte der Umbau eines Stall- und Speichergebäudes. Seit
1978 wurden darin 5 Chambres d’Hôtes mit 15 Betten eingerichtet. 1990
waren im gleichen Gebäude auch 3 Gîtes ruraux (Nr.849, 850 und 907)
eingerichtet, die insgesamt bis 15 Personen beherbergen können. Im
gleichen Jahr wurde die Rinderaufzucht völlig aufgegeben und die Felder
ausschließlich als Pferdekoppeln und zum Futteranbau genutzt.
Beide Aktivitäten, Reitsport und Herberge, waren Voraussetzung für den
Titel Gîte équestre, und begünstigen sich gegenseitig: einerseits nehmen
die Gäste der Gîtes und Chambres d’Hôtes häufig die Möglichkeiten des
Reitsports wahr (diese sind nicht im Preis für Übernachtungen mit
inbegriffen), andererseits ist das Angebot von Reitstunden und
Wanderungen zu Pferde eine gute Werbung und oft ein wichtiges Kriterium
bei der Auswahl von Ferienunterkünften.
Ein wesentlicher Vorteil für die Auslastung der Unterkünfte ist ein
benachbartes Restaurant, das von einem Bruder und einer Schwester von M.
Flaguais betrieben wird. Dieses bietet gleichzeitig die notwendigen
räumlichen Voraussetzungen für Tagungen und Versammlungen von
Betriebsleitungen o.ä..
Dank dieser Voraussetzungen konnten die 3 Gîtes 1994 eine
überdurchschnittliche Auslastung von 30 Wochen verbuchen. Nach Angaben
von M. Flaguais kommen etwa 60% der Gäste aus Frankreich, besonders aus
dem Norden und der Ile-de-France, die ausländischen Gäste hauptsächlich
aus Großbritannien und Belgien. Weiterhin werden besonders die Chambres
d’Hôtes von Teilnehmern an Tagungen und Kongressen, die in Caen
stattfinden, genutzt.
Abbildung 3: In einem ehemaligen Rinderstall wurden auf «La Cordière» 3
Gîtes ruraux und 5 Chambres d'Hôtes eingerichtet. Die Gäste eines
benachbarten Restaurants nutzen oft diese Übernachtungsmöglichkeiten und
tragen so zu einer hohen Auslastung bei.
2.2.2.4 Die Ferme-Auberge des Saulques
Der Bauernhof gehört zum Ort St.-George d’Aunay in der Region Pré-Bocage.
Auf 70 ha werden Getreide und Zuckerrüben angebaut und der Besitzer
Alain LOUIS und seine Gattin Claudine betreiben daneben eine
Geflügelzucht. Von 1984 bis 1992 wurde eine Bullenaufzucht betrieben,
die Stillegung erfolgte aufgrund sinkender Rindfleischpreise und damit
abnehmender Rentabilität. Seit 1992 wird die Entenzucht betrieben und
gleichzeitig erfolgte die Einrichtung der Ferme-Auberge. Diese wird von
den Besitzern als entscheidende Überlebensmöglichkeit des Hofes
bezeichnet: «Ohne die Ferme-Auberge hätten wir die Tür schließen
können.»
In einem ehemaligen, aus dem Granit der Region Bocage gemauerten Stall
wurden ein Saal für 60-80 Personen sowie Küche, Lager, und sanitären
Einrichtungen eingerichtet. Unterstützt wurde der Umbau aus Mitteln des
Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (Zielgebiet 5b, Förderung
benachteiligter ländlicher Gebiete), mit 60000 Francs wurden 30% der
Kosten gedeckt. Madame Alain absolvierte zwei Kurse zu Gastronomie und
Verwaltung.
Angeboten werden folgende Gericht aus Produkten des eigenen Betriebes
(Geflügel, Gemüse, Äpfel): Hähnchen in Weißweinsoße, Gänseleberpastete,
Entenfilet (magret), Perlhuhn oder Hähnchen auf Cidre, Entenkeule auf
Cidre, Normannische Apfeltorte.
Abbildung 4: Anzeige der Ferme-Auberge im Katalog von GITES DE FRANCE
CALVADOS 1994
Die Ferme-Auberge hat einen schnellen Aufschwung genommen und
verzeichnet jährlich einen Zuwachs. Zu 65% kommt die Kundschaft aus dem
Departement (besonders Raum Caen, desweiteren Bayeux, Villers-Bocage und
Aunay-sur-Odon), außerdem werden Gäste der Gîtes ruraux und Chambres
d’Hôtes der Umgebung empfangen. Vorbestellung ist notwendig.
2.2.2.5 Vergleich der Beispielbetriebe
Die vier aufgeführten Beispiele sind repräsentativ für verschiedene
Entwicklungsformen und Ziele des Agrotourismus.
«La Cordière» (Bsp.3) hat eine vollständige Umwandlung vollzogen, die
Betriebsfläche wird ausschließlich zur Selbstversorgung mit Futter und
als Weidefläche genutzt. Eine Folge der touristischen Umstellung ist
somit die Entlastung des Agrarmarktes bei gleichzeitiger Erhaltung und
Weiterbewirtschaftung der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Weiterhin
wurden Verdienstmöglichkeiten geschaffen: ein Reitlehrer wird 18 Stunden
pro Monat bezahlt, Praktikanten helfen bei der Pferdehaltung. Außerdem
erfolgt die Inanspruchnahme von Dienstleistungen, wie das Beschlagen der
Pferde und deren veterinärmedizinische Betreuung. Die Gemeinde
Noyers-Bocage erhebt keine Abgaben für touristische Übernachtung, nimmt
aber Steuern für den mit den Gîtes ruraux und Chambres d’Hôtes
geschaffenen Wohnraum ein.
Auf «Le Costil» (Bsp.2) ist trotz der Einrichtung der Gîtes keine
Veränderung der landwirtschaftlichen Produktion erfolgt; da nur
bestehende Gebäude genutzt werden, entstand, wie auch in den anderen
Betrieben, durch den Tourismus kein zusätzlicher Flächenverbrauch. Eine
wesentliche Qualität ist die Möglichkeit der Teilnahme am Leben auf den
Bauernhof. Die häufige Anwesenheit von Fremden empfindet die Familie als
Bereicherung des Lebens auf dem Einzelgehöft sowie als Anerkennung ihrer
Lebensweise und Heimat. Sonst ungenutzte und zerfallende Gebäude werden
erhalten und bringen ein zusätzliches Einkommen. Dessen Höhe wird
allerdings im Vergleich mit den Einkünften aus der Landwirtschaft von
den Betreibern zwar als willkommen aber nicht als finanziell
entscheidend für das Fortbestehen des Betriebes angesehen. Da insgesamt
22 Personen in den 4 Gîtes wohnen können, werden diese an jedem zweiten
Morgen von einen Bäcker des Ortes Truttemer-le-Grand beliefert.
Der Beginn der Vermietung der Gîtes ruraux des Hofes «La Dalinière»
(Bsp.1) erfolgte einige Jahre vor der Aufgabe der landwirtschaftlichen
Aktivität der Betreiber. Auch hier wurden ortstypische, vollständig aus
Granit gemauerte Gebäude erhalten, nur die Hoffläche wird genutzt.
Obwohl bewirtschaftete Felder den Hof umgeben, entsteht kein
Nutzungskonflikt, da jeder Gîte über genügend Freiflächen verfügt. Das
Einkommen ist ein wichtiger Beitrag zum Lebensunterhalt des
Rentnerehepaares.
Gemeinsam ist den drei ersten Beispielen das Vorhandensein mehrerer
touristischer Einrichtungen bei einem Betreiber. Erste positive
Erfahrungen und finanzielle Gewinne haben zu Erweiterungen angeregt. Der
Agrotourismus hat eine Eigendynamik im ländlichen Raum entwickelt: von
außen kommendes Geld wurden wieder vor Ort investiert und somit stieg,
angeregt durch Subventionen, die Kapazität, neben der Landwirtschaft
Einkommen zu erwirtschaften. Das Vorhandensein mehrerer Unterkünfte hat
auch den Vorteil, daß bei Nachfragen mehrere Alternativen angeboten
werden können: wenn ein Gîte belegt ist kann immer noch auf die übrigen
zurückgegriffen und somit eine bessere Auslastung erreicht werden.
Auf der Ferme-Auberge «Les Saulques» erfolgte eine teilweise auf den
Tourismus ausgerichtete Umstellung. Kennzeichnend ist, wie auch für «La
Cordière», die Aufgabe der Bullenaufzucht und somit der touristische
Umbau eines ehemaligen Rinderstalls. Aus dem Tourismus kommt heute ein
wesentlicher Bestandteil der Einkünfte des Betriebes.
Die Betriebe «Le Costil» und «La Dalinière» (Bsp. 2 und 1) haben eine
vergleichbare und für viele Gehöfte im Südwesten des Departements
typische, durch die einstige, von Kleinbetrieben dominierten
landwirtschaftliche Betriebsstruktur begründete Lage: sie befinden sich
außerhalb des Ortszentrums in einem Weiler oder sind von den
bewirtschafteten Feldern umgebene Einzelgehöfte. Die Anlagen 3 und 4
zeigen anhand der Gemeinden Clecy und Truttemer-le-Grand
charakteristische Ausprägungen dieser Siedlungsstruktur. Relativ
gleichmäßig sind auf dem gesamten Gemeindegebiet Einzelgehöfte und
Weiler in Streusiedlungsform verteilt. Die isolierte Lage und die
Aufgabe von Betrieben hat, wie auf «La Dalinière», zum Verlassen der
Gebäude geführt. Besonders in der Gemeinde Clecy wird deutlich, daß aus
diesen abgelegenen Strukturen Einrichtungen von Gîtes de France geworden
sind. Es zeigt sich, daß der Agrotourismus hier durch eine erneute
Nutzung zur Erhaltung einer historischen und zeitweise aufgegebenen
Siedlungsstruktur beiträgt.
Abbildung 5: Das ehemalige Einzelgehöft «La Dalinière» ist typisches
Beispiel für die Streusiedlungsstruktur im Departement Calvados. Es
stand 1943 bis 1979 leer und konnte dank der Einrichtung von vier Gîtes
ruraux renoviert und erhalten werden.
«Le Costil» und «La Dalinière» unterscheiden sich durch unterschiedliche
Entfernung zu touristischen Zentren. «La Dalinière» in Clecy, der
„Hauptstadt der Normannischen Schweiz“, liegt in einem Ort, der als
touristisches Zentrum bezeichnet werden kann. Zahlreichen touristischen
Attraktionen (Kletterfelsen, Golfplatz, Kajakverleih, Absprungstelle zum
Gleitschirmfliegen, Flugplatz für Hobbyflieger) sind vorhanden. Es
handelt sich um eine Region, die im Sinne der von CLARY (1991) erwähnten
dritten Generation des Agrotourismus ausgestattet ist und auch die unter
Punkt 1.3. vom Verfasser erwähnten modernen Bedürfnisse an extremen
Sportarten zufriedenstellen kann. Die agrotouristischen Einrichtungen
sind hier nicht die eigentliche Attraktion sondern profitiert von diesem
Umfeld und ergänzen die notwendigen Unterkünfte. Selbst die geringe
Entfernung der Gîtes vom Stadtzentrum ist jedoch ausreichend, um eine
Belästigung durch die Aktivitäten dieses touristischen Zentrums
auszuschließen.
In der Umgebung von «Le Costil» hingegen sind vergleichbare Elemente
nicht vorhanden; die Gäste suchen hier ländliche Originalität, das Leben
auf dem Bauernhof und die grüne Heckenlandschaft. Die wesentlichen
Grundlagen des Agrotourismus sind hier Qualitäten, die traditionell
charakteristisch für den ländlichen Raum sind. Bis auf die
eingerichteten Unterkünfte sind kaum Veränderungen erfolgt. Durch
Tagesausflüge können von «Le Costil» mehrere touristische Zentren
erreicht und somit die Aufenthalte vielfältig gestaltet werden. Die Lage
des Bauernhofes läßt den Besuchern die Wahl zwischen Zurückgezogenheit
und touristischer Betriebsamkeit.
Eine in der Region Basse-Normandie gemachte Erhebung von MULLER (1991)
bestätigt im wesentlichen die erwähnten Beweggründe für die Einrichtung
eines Gîte rural : für 40% der Betreiber war es die erneute Nutzung
eines verlassenen Gebäudes, für 26% ein zusätzliches Einkommen, für 14%
die Einrichtung eines Gebäudes, das in der Zukunft für den Eigenbedarf
(besonders als Altenteil) genutzt wird und für 10% Kontakte mit anderen
Menschen. MULLER erwähnt auch, daß besonders Frauen von Landwirten an
einer touristischen Aktivität interessiert sind, um im Betrieb, wo durch
Mechanisierung der Arbeitsaufwand zurückgeht, einen eigenen lukrativen
und abwechslungsreichen Verantwortungsbereich zu haben. Die
Mechanisierung hat nach MULLER auch dazu geführt, daß
landwirtschaftliche Betriebe keine Lohnarbeiter mehr anstellen und
beherbergen und daß die einst dafür vorgesehenen Räumlichkeiten jetzt
als Fremdenzimmer genutzt werden können.
2.2.3 Pilotprojekt zur Verbesserung der Umwelt zugunsten des
Agrotourismus in der Basse-Normandie - Projekt Calvados
Eine intakte Umwelt ist eine wichtige Voraussetzungen für den Tourismus.
Angesichts dieser Tatsache starteten die Landwirtschaftskammern der
Region Basse-Normandie ein Pilotprojekt zu deren Verbesserung (Projet
pilot d’amélioration de l’environnement en faveur du tourisme rural en
Basse-Normandie, Projet Calvados). Bei der Verbesserung der Umwelt (environnement)
werden jedoch in diesem Projekt eher ästhetische als ökologische Aspekte
berücksichtigt. Es beinhaltet neben landschaftspflegerischen Aufgaben
hauptsächlich die Verbesserung des Ortsbildes.
Im Departement Calvados sind 4 Dörfer berücksichtigt. Die Gemeinden
Combray, La Pommeraye, Saint Omer und Le Vey befinden sich etwa 40 km
südlich von Caen, im Kanton Thury-Harcourt, an der östlichen Grenze der
Heckenlandschaft Bocage normand in der Normannischen Schweiz (siehe
Anlage 1).
2.2.3.1 Charakterisierung des ausgewählten Gebietes
2.2.3.1.1 Physische Charakterisierung des Sektors
Diese Region besteht aus einer Abfolge mehrerer gestreckter Hügel, die
eine Höhe von bis zu 306 m erreichen und durch steile Wände im Westen
zum Ornetal auf 34 m abfallen.
Geologisch zum Armorikanischen Gebirgsrumpf gehörend, weist die Region
meist geringmächtige Böden auf kristallinen Schiefern auf. Auf den
abgeflachten Hügelrücken handelt es sich um verbraunte Ranker mit einer
Mächtigkeit von 30-60 cm die leicht zur Austrocknung neigen. An den
Hängen (Neigung > 12 %) nimmt die Mächtigkeit des Oberbodens ab (<30 cm)
und der Grobskelettgehalt zu. Mit zunehmender Hangneigung sind
Dauergrünland, Wald und von Stechginster dominierte
Trockenhangvegetation vorherrschend. Etwa 20% des Territoriums sind
bewaldet.
2.2.3.1.2 Demographie
Tabelle 5 (FONDE, 1992)
Gemeinde Einwohnerzahl Fläche
Bevölkerungsdichte
1975 1982 1990 (km²) 1990 (Ew/km²)
Die Bevölkerungsdichte von 19 Einwohnern pro km² ist sehr gering im
Vergleich zum Durchschnitt der ländlichen Zonen im Departement: 49 Ew/km².
Zwischen 1975 und 1990 hat sich die Bevölkerung, hauptsächlich durch
Abwanderung, um 12% verringert.
2.2.3.1.3 Wirtschaft und Landwirtschaft
Die Landwirtschaft ist dominierender Erwerbszweig: 1982 waren 58% der
erwerbstätigen Bevölkerung in der Landwirtschaft aktiv. Die
durchschnittliche Betriebsgröße betrug 1989 30ha. Nur 37% des
Territoriums sind pflügbar, hauptsächlich Weizen und Gerste werden auf
den Ackerflächen angebaut. 70% der landwirtschaftlichen Nutzfläche
dienen der Futtergewinnung (Dauergrünland und Silomais) für Milch- und
Rindfleischproduktion (Mast von Jungrindern 18-24 Monate). 1989 wurden
1600 Stück Rindvieh gehalten.
Handel und Handwerk sind sehr gering entwickelt, es existieren:
1 Café-Crêperie 1 Unternehmen für Metallkonstruktionen
1 Restaurant*** 1 Unternehmen für Arbeiten in der Landwirtschaft
1 Baubetrieb
2.2.3.1.4 Tourismus
Angesichts der demographischen Entwicklung und der Erwerbsstruktur wird
der Tourismus als «einzige Möglichkeit, die Bevölkerung in den kleinen
ländlichen Gemeinden zu halten» (FONDE, 1992) angesehen. Der Tourismus
ist nach der Landwirtschaft die bedeutendste Einkommensquelle der
Region:
Tabelle 6 (FONDE, 1992)
Typ der Unterkunft Anzahl Kapazität Anzahl der
Übernachtungs-möglichkeiten
Hotel
Camping (Gemeinde)
Camping (Bauernhof)
Chambres d’Hôtes
Gîtes ruraux
Gîtes d’étape et de groupe
Die Gäste sind zur Mehrheit französisch, und kommen aus
Nordostfrankreich und aus dem Raum Paris. Das Hotel in Le Vey wird
hauptsächlich von englischen Gästen frequentiert.
Wichtigste Attraktionszentren in unmittelbarer Nähe sind:
• die Kammstraße der Normannischen Schweiz (Route des Crêtes) die durch
St. Omer führt und Teil des Rundkurses «Route de la Suisse Normande»
(siehe Abschnitt 2.2.4, Bsp. 3) ist
• die anerkannten Kletterfelsen von Le Vey
• das Zentrum für Reittourismus in La Pommeraye
• der Startpunkt zum Drachen- und Gleitschirmfliegen in St. Omer
• sowie weitere Gelegenheiten für Mountainbikefahrten, Wanderungen,
Angeln und die Verleihstationen für Kanus, Kajaks und Tretboote im
Ornetal.
2.2.3.2 Ziele und Inhalt des Pilotprojektes
Das Projekt wurde 1993 gestartet und soll der Erhaltung und Verbesserung
der touristischen Attraktivität dienen. Die vier Dörfer und deren
Umgebung werden bauliche und landschaftgestalterische Maßnamen gegen
augenfällige Umweltschäden durchgeführt.
4 Schwerpunkte werden definiert (FONDE,1992):
1. Verbesserung der Wohnhäuser und anderer Gebäude
• Beseitigung von Wellblechdächern
• harmonische farbliche Gestaltung der Gebäude
• Beseitigung von Ruinen
2. Sanierung der Umgebung der Bauernhöfe
• Beseitigung von Müll (leere Fässer, Autoreifen und -karossen)
• Beseitigung von Stacheldrahtzäunen (Verwendung von
Kastanienholzgeländern)
3. Verschönerung der Ortschaften
• Bepflanzung der Plätze mit Blumen und Sträuchern, Holzkübel für
Pflanzen
• Beseitigung oberirdischer Strom- und Telefonleitungen
• Erneuerung der touristischen Hinweisschilder
• Parkplätze für Touristen bei Imbißständen und an einer Reiterfarm
• kleine touristische Einrichtungen wie Rastplätze und
Orientierungstafeln
4. Landschaftspflege
• Aufforstung stillgelegter Felder
• Pflege und Anpflanzung von Bocage-Hecken, besonders an Rainen
• Unterhaltung der Wanderwege und Rastplätze
• Beseitigung der fest installierten Wohnwagen (Dauercamping)am
Orne-Ufer
Nach einer ersten Phase der Sensibilisierung der Einwohner für das
genannte Ziel erfolgten 1994 folgende Arbeiten:
• Ersetzung von 1500m² Wellblechdach
• Errichtung von Holzgeländern als Ersatz für schadhafte Umzäunungen aus
rostigen Stahlrohr
• Instandsetzung von Einfriedungen
• Anpflanzung von 2km Bocage-Hecken
Abbildung 6: Die Kirche und Friedhofsmauer von Le Vey wurden im Rahmen
des Pilotprojektes 1995 renoviert. Die störenden Strom- und
Telefonleitungen werden noch beseitigt.Obwohl die Gemeinde unter einer
starken Abwanderung leidet, verschlechtert sich das Ortsbild dank der
Förderung des Fremdenverkehrs nicht.
Das Projekt verdeutlicht eine Bedeutung des Tourismus für den ländlichen
Raum: er wird im Gebiet als einzige Möglichkeit für die Schaffung
zusätzlicher und zukunftssicherer Einkommensquellen und somit als
Stabilisierungsfaktor für die Bevölkerungsentwicklung und Mittel gegen
die Abwanderung angesehen. Aufgrund dieser überlebenswichtigen Bedeutung
in der beschriebenen Region wurde die Finanzierung einer Verbesserung
der touristischen Attraktivität gewährt. Die Besonderheit des Programmes
ist, daß es nicht direkt touristische Einrichtungen fördert und somit
nicht auf kurzfristig realisierbare Gewinne ausgerichtet ist. Dagegen
werden allgemeine Voraussetzungen wie ein ansprechendes und von
störenden Elementen freies Bild der Landschaft und Dörfer als Ziel
definiert. Eine nachhaltige Verbesserung des allgemeinen
Erscheinungsbildes von wirtschaftlich kaum entwickelten
landwirtschaftlich geprägten Gemeinden in einer touristisch attraktiven
Region soll zu deren Überleben beitragen. Der Agrotourismus soll
langfristig von diesen Verbesserungen profitieren und eine sichere
ökonomische Grundlage für dieses Gebiet werden.
In dem geförderten Gebiet wird eine Umstrukturierung des ländlichen
Raumes bewirkt: nicht die Landwirtschaft wird unterstützt, sondern eine
Hinwendung zum Tourismus. Dessen Grundlage sind die landschaftlichen und
sportlichen Attraktionen des Orne-Tales und nicht die
landwirtschaftlichen Betriebe. Diese dienen in erster Linie zur
Bereitstellung von Unterkünften und nicht als eigentliche
Erlebnisstätten.
Dieses Programm läßt sich in die von CLARY (1982) erwähnte dritte
Generation des Agrotourismus in Frankreich einordnen (siehe Abschnitt
1.3). Eine ungestörte Umwelt als Voraussetzung für die Beherbergung
anspruchsvoller Gäste soll durch ein regionales Programm geschaffen
werden.
2.2.4 Touristische Rundkurse
Mit dem Ziel, die wenig frequentierten ländlichen Regionen für den
Tourismus zu erschließen, wurden 7 touristische Straßen für Auto- oder
Radrundfahrten eingerichtet. Jeweils ein aus Handwerk, Geschichte,
Landwirtschaft oder der Naturraumausstattung abgeleitetes Thema wird
durch ein Faltblatt erläutert. Dieses gibt auch Auskunft zu
besichtigenswerten Einrichtungen, Unterkünften, Restaurants und
beschreibt die empfohlene Route. So wird eine ausgewogenere Verteilung
der touristischen Aktivitäten im Departement erreicht, und gleichzeitig
werden benachteiligte Regionen an den Einnahmen des Fremdenverkehrs wie
auch an öffentlichen Investitionen beteiligt. Zwei Beispiele, die
Apfelweinstraße und die Straße der Traditionen sollen im folgenden
genauer vorgestellt werden, da sie für den Agrotourismus besonders
bedeutsam sind.
Abbildung 7: Lage der Touristenstrassen im Departement, Karte nach
LEGEARD (1976)
1. Die Apfelweinstraße ist der bekannteste Rundkurs, er genießt als «La
Route du Cidre» mittlerweile internationalen Ruf. Auf schmalen
Landstraßen entdeckt man den Pays d’Auge, seine Fachwerkdörfer, Hügel,
Kapellen und Streuobstwiesen. Bei 24 traditionellen Herstellern kann man
Cidre, Calvados oder den aus beiden gemischten Aperitif Pommeau
erwerben. Bei elf Produzenten können die traditionellen Anlagen wie
Pressen, Brennkessel und Keller besichtigt werden. Es finden zahlreiche
traditionelle Märkte und Feste statt, das meistbesuchte ist die «Fête du
Cidre» im Oktober jeden Jahres. Während dieses Festes im Fachwerkdorf
Beuvron-en-Auge wird die Herstellung des Cidre demonstriert, an Ständen
werden die Produkte der Region, neben den Getränken auch Käse und
Imkereiprodukte, angeboten. Die über 4000 Besuchern unterstreichen die
Bedeutung dieser Feierlichkeit und tragen zur Werbung für das Pays
d’Auge bei.
Abbildung 8: Auf der Fête du Cidre wird allherbstlich im Fachwerkdorf
Beuvron-en Auge feierlich der erste Apfelsaft des Jahres gepreßt.
2. Die Straße der Traditionen (La Route des Traditions) führt durch die
Pré-Bocage, einer Übergangsregion zwischen der zum Pariser Becken
gehörenden Ebene von Caen im Osten, der Bocage im Südwesten und dem
Bessin im Norden. 10 Familien stellen landwirtschaftliche und
handwerkliche Traditionen vor.
• Cidrepresse mit Gelegenheit zur Verkostung und Kauf von Calvados und
Cidre
• Taubenzucht, mit Verkauf von anerkannten Taubenfleisch
• Angorakaninchenzucht, Verkauf von Wolle und Trikotagen
• Imker; Vorstellung der Bienenzucht, der Honigbereitung und alter
Werkzeuge; Verkauf von Honig- und Bienenwachsprodukten
• Bauernhof, Herstellung und Verkauf von Crème-de-Calvados (ein Likör
aus Sahne und Calvados), Möglichkeit zu Bogenschießen und Golfspiel
• Bauernhof; Vorstellung der landwirtschaftlichen Einrichtungen; Verkauf
von Cidre, Calvados; Besichtigung der Keller und Presse
• Ziegenfarm; Demonstration der Ziegenkäseherstellung, Verkauf
• Weberei, Vorführung traditioneller Webtechnik,
• Gänsezucht; Vorstellung des Bauernhofes, Verkauf von Gänseleberpastete
(foie gras) und Gänsefleisch
• Bauernhof; Vorführung des traditionellen Brotbackens über Holzfeuer.
Die Vielfalt von handwerklichen und landwirtschaftlichen Gewerben soll
den Touristen eine unterhaltsame Begegnungen mit den Menschen der Region
und neue Eindrücke von interessanten Verfahren ermöglichen.
3. Die Straße der Normannischen Schweiz (La Route de la Suisse Normande).
Besonders die landschaftlichen Reize werden vorgestellt, es existieren
zahlreiche sportliche Aktivitäten wie Kanu- Kajak, Bergsteigen,
Gleitschirmfliegen, Reiten, Mountainbike. Bei elf Produzenten kann
Cidre, Calvados und Pommeau gekauft werden. Der Rundkurs führt durch die
Gemeinde Clecy, in der sich der im Punkt 2.2.2.1 vorgestellte Bauernhof
«La Dalinière» befindet; auch die im Punkt 2.2.3 erwähnten Gemeinden Le
Vey und St. Omer liegen an dieser Touristenstraße.
4. Die Straße der Mühlen (La Route des Moulins) führt durch den
Nordosten des Bessin. Diese küstennahe Landschaft verdankt ihre Reize
der Erosionstätigkeit der Flüsse Seulles, Thue und Mue. Das
abwechslungsreiche Relief mit teilweise bewaldeten Flußtälern ist der
Rahmen für zahlreiche Dörfer in denen aus dem Caennaiser Kalksandstein
gemauerten Häusern überwiegen. Sechs ehemalige Wassermühlen, in denen
Getreide oder Gewürze gemahlen oder Textilien verarbeitet wurden, sind
der thematische Schwerpunkt. Daneben sind die Schlösser Fontaine-Henry
und Creully sowie die aus dem 11.Jh stammende romanische Kirche von
Thaon wichtige touristische Ziele an diesem Rundkurs.
5. Die Straße durch den Wald von Biards (La Route de la Forêt des Biards)
im Südwesten des Bessin führt durch eine der wenigen bewaldeten, mit
Reit- und Wanderwegen versehenen Gebiete des Departements Calvados. Ein
Mühlen- und ein Bergbaumuseum sowie ein Töpferzentrum stellen das
traditionelle Gewerbe vor.
6. Die «Route des Douets» im Nordosten des Departements führt durch das
Tal des Flusses Touques, dessen Nebenflüsse als Douets bezeichnet werden
(z.B.: Douet du Houlbec, Douet au Saulnier...). Neben den zahlreichen
Wasserläufen besteht der Reiz dieser Kulturlandschaft in den zahlreichen
heckengesäumten Wiesen, die, wie für den Pays d’Auge typisch mit
Apfelbäumen für die Cidreerzeugung bestanden sind. Vorherrschend sind
Einzelgehöfte, selbst Kirchen und Kapellen stehen isoliert. Fünf
Bauernhöfen bieten ihre Produkte (Cidre, Calvados, Geflügel, Crème,
Eier, Butter) zum Verkauf an. In der Stadt Pont l’Evêque, in der Mitte
dieses Rundkurses informiert ein Museum über Calvados und altes
Handwerk.
7. Die Straße der Schluchten des Flusses Vire (La Route des Gorges de la
Vire) in der Bocage, an der Westgrenze des Departements. Die Granite und
Schiefern des Armorikanischen Massives liegen an den senkrechten Hängen
der erodierten Täler offen zu Tage. Ausgeschilderte Wanderwege führen
durch die ruhige Heckenlandschaft mit zahlreichen Hohlwegen.
2.3 Bedeutung des Agrotourismus für das Departement
Das Departement Calvados ist aufgrund seiner Naturraumausstattung und
dem Reichtum an kulturell und geschichtlich bedeutenden Stätten ein
wichtiges Touristenziel. Der Agrotourismus profitiert vom Vorhandensein
der touristischen Zentren, indem er im Umland die notwendigen
Übernachtungsmöglichkeiten anbietet und stellt somit auch gleichzeitig
eine Voraussetzung für den Fremdenverkehr dar.
In den Einrichtungen von Gîtes de France wurden 1996 im Departement
durch 750.000 Übernachtungen ein direkter Umsatz von 30 Mio. Francs
erzielt; dieses Geld kommt im wesentlichen dem ländlichen Raum zugute.
Von Gästen dieser Einrichtungen wurde im Departement außerdem ein Umsatz
von 115 Mio. Francs geschätzt (GITES DE FRANCE CALVADOS, 1997).
Abbildung 9: Das Gebäude des Gîte rural Nr.1206 im Pays d'Auge vor und
nach der Restaurierung 1996 . Durch den Agrotourismus können aufgegebene
landwirtschaftliche Gebäude erhalten und weitergenutzt werden.(Aus GITES
DE FRANCE CALVADOS, 1997)
1996 entstanden 72 neue Gîtes ruraux und Gîtes de mer im Departement
Calvados (GITES DE FRANCE CALVADOS, 1997). Die Investitionen pro Gîte
belaufen sich nach TACET (1997) auf 250000-300000F
(entspr.:75000-90000DM) und stellen somit kontinuierlich einen
bedeutenden Anteil der Aufträge für Handwerksbetriebe im ländlichen Raum
dar.
Der Agrotourismus bereichert das touristische Angebot im Departement.
Touristenstraßen und Museen, die mit der Landwirtschaft verbundene, für
einzelne Regionen typische Themen vorstellen, schaffen neue
Erlebnismöglichkeiten. Um neben der Küste und den Städten Caen und
Bayeux auch die landschaftlichen Reize des mittleren und südlichen Teils
des Departements für den Tourismus zu erschließen, bot sich besonders
der Agrotourismus an. Damit wurde eine ausgewogenere Verteilung des
Tourismus und die Abschwächung der Negativeffekte, die durch zu hohe
Konzentration der touristischen Aktivitäten bewirkt werden können,
angestrebt. Unter Nutzung der vorhandenen Gebäude konnte ohne große, für
die Landschaft nachteilige Eingriffe Voraussetzungen für den Tourismus
im ländlichen Raum geschaffen werden. Handwerkliche und
landwirtschaftliche Traditionen des Departements wurden für den
Tourismus gefördert und sind in Verbindung mit der küstenfernen
Landschaft eine wichtige Ergänzung zum Badetourismus. Diese Ergänzung
trägt auch zu einer Verlängerung der Aufenthaltsdauer der Urlaubsgäste
im Departement bei.
Die Wertschätzung von außen macht auch den Bewohnern des Departements
die noch zahlreichen alltäglichen Traditionen bewußt. Aber eine
folkloristische, für den Tourismus gemachte Überbetonung und Entstellung
derselben konnte bei den vorgestellten Familienbetrieben nicht
festgestellt werden.
Die Traditionen der normannischen Küche werden in den Fermes-Auberges
und Auberges du Terroir gepflegt. Im Departement gab es 1996 12 solche
Einrichtungen mit einer jeweiligen Kapazität von 18-100 Plätzen von
denen 6 auch Unterkünfte (Gîte rural, Chambres d’Hôte, Gîte d’Etape et
de Groupe) bereitstellen. Sie werden hauptsächlich von Bewohnern des
Departements genutzt und sind somit Elemente der Naherholung.
Wie das Pilotprojekt in der Normannischen Schweiz zeigt, soll durch den
Agrotourismus die Landflucht im Departement verringert werden. Maßnahmen
zur Dorferneuerung und Umweltgestaltung werden im ländlichen Raum
zugunsten des Agrotourismus durchgeführt, um dessen Bedeutung als
Einkommensquelle zu vergrößern. Der Agrotourismus soll als Mittel der
Raumordnung dazu dienen, eine gleichwertige und ausgewogene
Siedlungsstruktur im Departement zu erhalten. Besonders hier besteht
jedoch nach Meinung des Verfassers die Gefahr einer Entstellung. Die im
Punkt 1.3 genannten Erwartungen und auch die unter 2.2.2.2 erwähnten
Eintragungen aus einem Gästebuch zeigen, daß ein Teil der Gäste
ausdrücklich eine unverwechselbare, von der Landwirtschaft und nicht vom
Tourismus lebende Atmosphäre vorzufinden wünscht. Erfolgt jedoch eine zu
starke Ausrichtung auf den Tourismus, besteht die Gefahr, daß Typisches
und damit eine Grundlage des Agrotourismus verlorengeht. Im Departement
Calvados kann dazu festgestellt werden, daß in der Bocage, für die der
Beispielbetrieb «Le Costil» (Punkt 2.2.2.2) repräsentativ ist, trotz
zahlreicher touristischer Unterkünfte ein charakteristisches
Erscheinungsbild erhalten geblieben ist.
Im Pays d’Auge andererseits sind rund um die Route du Cidre starke
Veränderungen zu beobachten. Nach Eindrücken des Verfassers kann man
hier von intensiven Agrotourismus sprechen. Das Dorf Beuvron-en-Auge
trägt als zentraler Ort des Tourismus im Gebiet der Route du Cidre
wesentlich zu dieser Intensität bei. Die Zentralität des Dorfes, das den
staatlichen Titel „Schönstes Dorf Frankreichs“ trägt, leitet sich aus
verschiedenen Gegebenheiten ab. Bedeutend für den Tourismus auf der
Route du Cidre ist das im Frühherbst stattfindende Cidre-Fest in Beuvron
- ein Ereignis von überregionaler Bedeutung. Von diesem Fest wird in den
Medien berichtet und auch die über viertausend Besuchern tragen zur
Steigerung der Bekanntheit des Dorfes bei. Gleichzeitig wird dadurch
natürlich auch für das Pays d’Auge und die Route du Cidre Werbung
gemacht. Es finden auch im Sommer regelmäßig Festveranstaltungen in
Beuvron statt, die den Tourismus auf der Route du Cidre und auch den
Absatz von in der Umgebung erzeugten landwirtschaftlichen Produkten
fördern. Voraussetzung für die Entwicklung von Beuvron war der
historische Marktplatz. Er ist von einem beispielhaften Ensemble
bäuerlicher normannischer Fachwerkhäuser umgeben, in denen sich heute
zahlreiche Cafés, Restaurants, Souvenirläden wie auch ein Töpfer- und
Maleratelier befinden. Der starke touristische Zustrom, der dank der
zahlreichen Gaststätten bewältigt werden kann, bestätigt den Bedarf
einer solchen Ausstattung. Obwohl das Dorf dadurch sein ursprüngliche
Erscheinungsbild verändert hat, bleibt es Ziel zahlreicher Ausflüge im
Pays d’Auge.
In der Region Bocage im Südwesten des Departements sind zwar selbst nur
untergeordnete touristischen Zentren vorhanden, jedoch lassen sich von
hier aus Tagesfahrten in verschiedene Richtungen zu bedeutenden
Sehenswürdigkeiten unternehmen. Die Region ist somit Schnittstelle der
Einzugsbereiche mehrerer Zentren und die agrotouristischen Unterkünfte
ermögliche in dieser dezentralen Lage sowohl Erholung in ländlicher
Abgeschiedenheit als auch abwechslungsreiche Kurzreisen.
Nach einer Umfrage im südlichen Teil des normannischen Departements
Manche ergab sich 1991 folgende Situierung der Gîtes ruraux (BARBE,
1991):
• 53% befanden sich in einen Weiler (hameau) das heißt in einen etwa 20
Personen bewohnten, vom Dorfzentrum isolierten Gemeindeteil, dies ist
die für die Bocage flächenmäßig dominierende Siedlungsstruktur
• 25% auf einem Einzelgehöft
• 20% in einem Dorf
Die Angaben können auch für den südwestlichen Teil des Departements
Calvados (Anlage3, Bsp. 2.2.2.2), der gemeinsam mit dieser Region die
Bocage normand bildet und die gleiche Siedlungsstruktur aufweist,
verallgemeinert werden. Aus dieser Verteilung wird die besondere
Bedeutung des Agrotourismus für dünnbesiedelte und damit besonders von
Landflucht betroffene Gebiete mit Streusiedlungsform deutlich. Diese
Siedlungsform entwickelte sich dank der von kleinen Familienbetrieben
dominierten traditionellen Landwirtschaft. Im Zuge der Modernisierung
wurden viele Gehöfte verlassen und die verbleibenden somit mehr und mehr
isoliert. Der Agrotourismus kann teilweise diese Entwicklung
kompensieren und somit der traditionellen ländlichen Siedlungsform des
Departements eine neue wirtschaftliche und soziale Grundlage geben. Auch
für den Erhalt der pflegeintensiven Kulturlandschaft Bocage ist das
Fortbestehen dieser Siedlungsform notwendig.
3 Beurteilung der Bedeutung des Agrotourismus in Frankreich
3.1 Funktionen des Agrotourismus im Rahmen des Gesamttourismus
Eine wesentliche Funktion ist, Unterkünfte und
Übernachtungsmöglichkeiten bereitzustellen. Die Touristen nutzen die
Unterkunft um eine Region kennenzulernen und unternehmen Tagesausflüge
per Auto oder Wanderungen. Diese Funktion erfüllen besonders die Gîtes
d’Etape und Gîtes de Groupe. Die Frequentation der Einrichtungen hängt
hierbei besonders vom landschaftlichen Umfeld und den touristischen
Attraktionszentren in der Umgebung ab. Die Chambres d’Hôtes werden als
Übernachtung bei Durchreise oder kurzen Aufenthalten genutzt, die Lage
zu wichtigen Straßen und eine entsprechende Signalisation ist
entscheidend. Hierbei konkurriert Gîtes de France mit anderen
Einrichtungen, besonders mit preiswerten Hotelketten wie Formule 1 oder
Fast Hotel. Diese haben den einst erheblichen Preisunterschied zwischen
Hotels und Einrichtungen von Gîtes de France stark reduziert oder sogar
umgekehrt (Beispiel: 3-Bett Zimmer in Caen 140 F; Chambre d’Hôtes für 3
Personen mit Frühstück 250F).
Die Gîtes ruraux stellen im Gesamttourismus aufgrund ihrer relativ
geringen Übernachtungspreise ein besonderes Angebot dar. Für
kinderreiche oder einkommensschwache Familien sind sie auch wegen der
möglichen Selbstversorgung oft die einzig mögliche Form für einen
nichtsdestoweniger attraktiven Jahresurlaub. Dies bestätigt sich auch
durch die Tatsache, daß in wirtschaftlichen Krisenjahren zwar der
Gesamttourismus einen Umsatzrückgang verzeichnet, der Agrotourismus aber
eine nahezu gleichbleibende oder sogar erhöhte Frequentation aufweist.
So erwähnt die Tageszeitung LIBERATION vom 2.8.1996 für den Juli 1996 im
Vergleich zum Vorjahr in Frankreich einen Rückgang der Hotelbuchungen um
10,6%, der Buchungen von Urlaubswohnungen um 6% wohingegen die Gîtes
ruraux nur 1,6% weniger Gäste hatten. Trotz der niedrigen Preise haftet
dem Urlaub auf dem Bauernhof jedoch nicht der Ruf des anonymen Billig-
oder Massentourismus an.
Eine Stärke des Agrotourismus ist der persönliche Kontakt zwischen Gast
und Gastgeber. Die Gäste können dank der Kataloge von Gîtes de France
die Reservierung selbst mit den Betreibern verabreden, und diese
bereiten einen familiären Empfang. In den vorgestellten Betrieben gab es
zahlreiche Beispiele für Besucher, die Jahr für Jahr wiederkehren und
dabei eher das Gefühl haben, Bekannte zu besuchen als ein touristisches
Angebot zu nutzen.
Eine weitere Funktion ist die Befriedigung des Interesses der Gäste am
Leben auf dem Bauernhof. Besonders Stadtfamilien mit Kindern haben den
Wunsch, andere Lebensformen zu entdecken. Der Landwirt wird somit zum
Unterhalter. Hierin liegt die wesentliche Besonderheit und ein Bedarf,
den nur der Agrotourismus befriedigen kann. Besondere pädagogische
Bedeutung haben in dieser Hinsicht die Gîtes d’Enfants.
Die sportliche Betätigung in einer sauberen und ungestörten Umwelt ist
eine Funktion des Agrotourismus, die besonders in den letzten Jahren mit
der Schaffung der Gîtes Loisirs und Gîtes équestre an Bedeutung gewann.
Diese Aktivität kann, wie der Reitsport, mit der landwirtschaftlichen
Aktivität des Betreibers verbunden sein, oder es werden andere Mittel
oder Einrichtungen zur Verfügung gestellt wie z.B. Fahrräder, Pfeil und
Bogen, Tennisplätze, Schwimmbäder, Kanus oder Kajaks, Angelausrüstungen,
Golfplätze. Es handelt sich um die im Kapitel 1.3 beschriebenen
Einrichtungen der dritten Generation. In den Katalogen von Gîtes de
France sind für jeden Gîte diese Möglichkeiten vermerkt bzw. die
Entfernungen zu entsprechenden Einrichtungen angegeben.
Weiterhin bemüht sich Gîtes de France besondere Bedürfnisse von Kunden
zu befriedigen: Eignung für Behinderte, Einrichtungen zur Betreuung von
Babys und Kleinkindern. Die Gîtes Panda befinden sich in der Nähe von
Naturparks und stellen Ausrüstungen wie Feldstecher und Karten zur
Entdeckung der Natur zur Verfügung. Auch eine Steigerung des Komforts
ist zu verzeichnen, Gîtes mit vier „Ähren“ werden auch als „Gîtes de
luxe“ bezeichnet. Bettwäsche wird bereitgestellt, eine
Geschirrspülmaschine ist vorhanden und die allgemeine Ausstattung hat
ein hohes Niveau.
Den in Frankreich bedeutenden kulinarischen Wünsche kommen Auberges du
Territoir und Fermes-Auberges nach. In der Regel werden Menüs ab 90
Franc serviert, eine Reservierung ist meistens notwendig, es werden
Gruppen von mindestens 8-12 Personen empfangen. Geschätzt werden die
beiden Formeln von Reisegruppen und besonders von Belegschaften von
Unternehmen oder Freizeitverbänden aus der näheren Umgebung, auch
Familienfeiern werden hier veranstaltet. Im Vergleich mit Restaurants
sind diese Einrichtungen preiswert und auch für große Gruppen ist eine
Bewirtung unkompliziert. Sie werden besonders wegen dem familiären
Empfang durch die Landwirte und der unmittelbaren Herkunft der
angebotenen Produkte sowie deren ländlich-traditionellen Zubereitung
geschätzt.
Aufgrund der relativ geringen Dichte der Einrichtungen, trägt der
Agrotourismus zu einer besseren Verteilung des Fremdenverkehrs bei.
Diese Entlastung von Seebädern, Städten und anderen Schwerpunkten hat
eine positive Auswirkung auf den Gesamttourismus. Bei einer weiteren
Steigerung der touristischen Aktivität und angesichts der Sättigung in
den vorhandenen Badeorten und im Gebirge, bietet der ländliche Raum ein
noch ausbaufähiges Erweiterungspotential sowohl in quantitativer (Zahl
der Übernachtungsmöglichkeiten) als auch qualitativer Hinsicht. Da meist
bestehende Gebäude genutzt werden, entstehen aber durch diese
Entwicklung kaum Schäden für die Umwelt.
3.2 Stabilisatorfunktionen für den ländlichen Raum
Die Renovierung von Gebäuden, die mittels Subventionen und
Eigenleistungen für den Agrotourismus hergerichtet werden, trägt zur
Erhaltung und Wertsteigerung der ländlichen Bausubstanz bei. Bei den
ausgewählten Beispielen handelte es sich ausschließlich um ortstypische
Bauwerke die in traditioneller Bauweise und mit Materialien der
jeweiligen Region errichtet waren. Eine historisch gewachsenen
Siedlungsstruktur wird somit bewahrt. Verbunden mit der durch die
Richtlinien von Gîtes de France vorgeschriebenen baulichen Verbesserung
werden auch die örtlichen Handwerksbetriebe (Bau, Klempner, Elektriker)
gefördert. 1995 entstanden in Frankreich 1500 neue Gîtes ruraux (GITES
DE FRANCE CALVADOS, 1995 a); der Agrotourismus wirkt also durch die
kontinuierliche Zunahme seiner Einrichtungen stabilisierend auf das
Gewerbe im ländlichen Raum.
Der Kontakt mit unbekannten Menschen aus verschiedenen Regionen und
anderen sozialen Schichten ist eine wesentliche Bereicherung des Lebens
auf dem Lande. Reisen sind bei Ausübung landwirtschaftlicher Tätigkeit
selten möglich, Abwechslung desto willkommener. Das Interesse von
Fremden bewirkt eine Aufwertung des Landlebens; die Betreiber haben den
Eindruck „gefragt“ zu sein und können mit ihrer Tätigkeit etwas
Besonderes anbieten. Die soziale wie auch räumliche Isolation der
Landbevölkerung wird durch den Agrotourismus verringert, dies ist
besonders für junge Menschen ein wichtiges Kriterium bei der
Entscheidung für oder gegen ein Leben als Landwirt. Nach Eindrücken des
Verfassers erfolgte kein Verlust der regionalen Identität bei den
Betreibern der besuchten Einrichtungen, vielmehr war das für Frankreich
typische selbstverständliche Nebeneinander von Tradition und Fortschritt
auch hier zu bemerken. Der Agrotourismus, die häufige Begegnung mit
immer neuen Gästen führt zum Bewußtwerden der Vorteile und Werte des
bäuerlichen Lebens.
Die nationale Organisation Gîte de France wirkt als Vermittler zwischen
Angebot und Nachfrage und verleiht dem Agrotourismus mittels der
allgemein akzeptierten zentralen Verwaltung und Reglementierung eine
weitere typisch französische Prägung. Die durch den Agrotourismus
bewirkte Kommunikation zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen trägt
zu einer Belebung der Wechselwirkungen und somit zur Stabilisierung des
Gesellschaftsgefüges bei. Für den ländlichen Raum ermöglicht dieser
Austausch eine aktivere Teilnahme an gesellschaftlichen Entwicklungen.
Dies bedeutet zum einen, daß Neuerungen hier schneller nutzbar werden
und zum anderen, daß Landwirte für ihre Interessen mehr Verständnis
finden
Einrichtungen wie die Fermes-Auberges und Auberges de Territoir tragen
zum Verkauf und der Veredelung vor Ort von landwirtschaftlichen
Erzeugnissen bei. Damit wird ein von sinkenden Marktpreisen unabhängiger
Absatz geschaffen und es erfolgt eine zusätzliche Wertschöpfung im
ländlichen Raum. Außerdem wird mit der Zubereitung traditioneller
Gerichte der kulinarische Reichtum der jeweiligen Region erhalten und
vermehrt.
Der Agrotourismus schafft im ländlichen Raum zusätzliche Einkommen, und
verhindert so zum Teil die Abwanderung. Dieses Einkommen kann für die
einzelnen Betreiber Ergänzung und in seltenen Fällen auch alleinige
wirtschaftliche Grundlage sein. Die Entwicklung der Beispielbetriebe hat
gezeigt, daß die Einkünfte aus dem Agrotourismus erneut im ländlichen
Raum investiert werden und somit eine selbstfinanzierte Steigerung der
Gewinnmöglichkeiten erfolgt. Der Agrotourismus bewirkt eine nachhaltige
Entwicklung, die langfristig Einnahmen und Investitionen sichert.
Der Tourismus schafft eine von den Preisschwankungen
landwirtschaftlicher Produkte unabhängige Einkommensquelle im ländlichen
Raum. Diese Diversifikation dämpft die Folgen des Preisrückgangs und
wirkt so stabilisierend auf die finanzielle Lage landwirtschaftlicher
Betriebe.
Die möglichen Einkünfte aus dem Tourismus veranlassen, wie anhand des
Pilotprojektes im Punkt 2.2.3 gezeigt wurde, Verantwortungsträger zur
Finanzierung von strukturfördernden Maßnahmen im ländlichen Raum. Als
Reaktion auf die Erfordernisse des Tourismus wird das Interesse für
Belange des Umweltschutzes geweckt. Die Erhaltung einer attraktiven
Region erfordert ebenfalls Anstrengungen zur Verschönerung und
Verbesserung der für den Fremdenverkehr notwendigen Ausstattung des
ländlichen Raumes. Die Ergebnisse dieser Maßnahmen kommen natürlich auch
der Bevölkerung der einzelnen Orte zugute.
Einerseits haben alle vorgestellten agrotouristischen Einrichtungen zur
Stabilisierung der Betriebe beigetragen, andererseits muß festgestellt
werden, daß nur 2% der französischen Landwirte einer touristischen
Aktivität nachgehen (TACET, 1997). Es kann verallgemeinert werden, daß
der Agrotourismus nur eine begrenzte und ergänzende
Stabilisierungsfunktion für die Landwirtschaft und für den ländlichen
Raum hat. Ländliche Gemeinden oder Betriebe, die ihre Haupteinkünfte
durch den Tourismus beziehen sind sehr selten. Häufiger sind Gemeinden
mit 1-2 Gîtes ruraux, wo also nur das Einkommen von 1-2 Haushalten
ergänzt wird.
Es existieren in Frankreich touristische Ansprüche, denen nur der
ländliche Raum nachkommen kann. Dafür ist es jedoch notwendig, daß
ländliche Originalität, eine saubere, ruhige und gesunde Umwelt,
abwechslungsreiche Erlebnismöglichkeiten und besonders auch vitale
landwirtschaftliche Familienbetriebe erhalten und gefördert werden. Wo
dies geschieht, tragen die dargelegten Wechselwirkungen zur Verbesserung
der Qualitäten und zur Stabilisierung des ländlichen Raumes bei.
3.3 Konkurrenz Agrotourismus-Landwirtschaft?
Im Zuge der Modernisierung der Landwirtschaft entstanden in ländlichen
Regionen Möglichkeiten für eine touristische Aktivität. In einigen
Beispielen hat sich gezeigt, daß freiwerdende Gebäude
landwirtschaftlicher Betriebe durch den Tourismus wiedergenutzt und
somit erhalten werden. Bezüglich der Veränderungen in den Betrieben
können zusammenfassend folgende Formen unterschieden werden:
• In wenigen Betrieben kam es dank des Tourismus zu einer völligen
Umorientierung. Im Departement Calvados wurde besonders die
traditionelle Rinderhaltung aufgegeben und Reitpferdehaltung oder
Gastronomie bilden die neue Grundlage. Diese von den Krisen der
Landwirtschaft im wesentlichen unabhängige Form des Agrotourismus ist
ein wichtiger Stabilisator für den ländlichen Raum. Durch hohe
Investitionen können langfristig kontinuierlich Einnahmen erwirtschaftet
werden. Aus der Landwirtschaft hervorgegangene ausschließliche
Tourismusbetriebe sind jedoch sehr selten.
• In der Mehrzahl der Betriebe stellt der Agrotourismus eine Ergänzung
der landwirtschaftlichen Produktion (meist Rinderhaltung) dar. Hier
wirkt er stabilisierend auf den Betrieb, kann jedoch bei ungenügenden
Erträgen aus der Landwirtschaft auf die Dauer keine Lebensgrundlage
sein. Der Fremdenverkehr fördert das Weiterbestehen von Nebenerwerben
wie Honigherstellung, Cidre-Zubereitung, Geflügelhaltung oder
traditionellem Handwerk.
Wie wichtig die durch den Tourismus bewirkte Kommunikation für die
Landwirtschaft sein kann, zeigt sich angesichts der Krise die 1996 durch
die Rinderwahnseuche ausgelöst wurde: die Berichterstattung in den
Medien erzeugte oft unbegründete Emotionen, die zu einem
Nachfragerückgang führten. Bei besserer Kenntnis der Funktion
landwirtschaftlicher Betriebe und evtl. persönlicher Bekanntschaft mit
Landwirten erfolgt hingegen eine sachlichere Beurteilung der Daten durch
die Verbraucher. Der Agrotourismus wirkt somit stabilisierend auf den
Absatz landwirtschaftlicher Produkte, besonders wenn deren Herkunft und
einwandfreie Erzeugung bekannt sind.
Angesichts der sehr niedrigen Renten der französischen Landwirte sind
die Investitionen in agrotouristische Einrichtungen oft auch ein Mittel
der Altersvorsorge. Gîtes ruraux werden auch vielfach mit der Absicht
geschaffen, diese später als Alterswohnsitz zu nutzen.
Die Landwirtschaft profitiert also in vielerlei Hinsicht vom Tourismus;
von Verdrängung kann nicht die Rede sein, der Rückgang der Betriebszahl
erfolgt nicht durch den Tourismus sondern durch die allgemeine
Absatzlage. Der Fremdenverkehr trägt eher im begrenzten Maße zu ihrer
Erhaltung bei.
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Erklärung
Ich erkläre, daß ich die vorliegende Diplomarbeit selbständig und nur
unter Verwendung der angegebenen Literatur und Hilfsmittel angefertigt
habe.
Halle, den 24. 9. 1997
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